Transiberiana
Nachdem die letzten Alben der Italo-Prog-Urgesteine Premiata Forneria Marconi und Celeste offen gesagt reichlich enttäuschend und ein wenig flach ausgefallen waren, war dem Schreiber dieser Zeilen beim Gedanken an ein Comeback von Banco Del Mutio Soccorso – oder Banco, wie die Band sich zwischenzeitlich nannte – eher ein wenig misstrauisch. Speziell, weil es sich um das erste Album ohne den charismatischen Frontmann Francesco Di Giacomo handelt – und die Band ihn noch dazu durch den X-Factor-Teilnehmer Tony D’Alessio ersetzt hatte.
Aber keine Angst, im Gegensatz zu den oben Erwähnten ist bei Banco nach wie vor eine ganze Menge Leben im Patienten, auch 25 Jahre nach dem letzten Studioalbum. Vom Original-Line-Up ist zwar nur noch Keyboarder Vittorio Nocenzi am Start, und auch musikalisch hat sich so Einiges getan. „Transiberiana“ ist nämlich ein richtig feines Stück klassischen Progrocks geworden, das zwar das typisch RPI (Rock Progressivo Italiano)-Pathos nach wie vor featuret, sich aber auch nicht vor schrägen und modernen Elementen fürchtet. Dass die Keyboards am Meisten an den klassischen Banco-Sound erinnern, sollte nicht wundern. Doch schon die Gitarrenarbeit schwankt zwischen stylishen Fusion-Elementen, vergleichsweise harschen Riffs (ohne je in Metal-Gefilde vorzustoßen) und zarten bis virtuosen Akustikgitarren. Neben harmonischen Prog-Komfortzone-Stücken wie beispielsweise dem Opener ‚Stelle Sulla Terra‘ oder ‚Il Grande Bianco‘ gibt es nämlich auch abgefahrenere Stücke wie ‚L’assalto Dei Lupi‘ und ‚Lo Sciamano‘, die eher klingen, als hätten System Of A Down, der Achtziger-Zappa und Peter Gabriel zusammen ein paar Songs geschrieben und an Banco abgetreten. Ein paar zugegebenermaßen nahe am Kitsch vorbeisegelnde Pathos-Balladen wie der Quasi-Titelsong ‚Grande Transiberiana‘ sind bei Banco hingegen schon immer Teil des Gesamtpakets gewesen und dürfen auch hier nicht fehlen. X-Factor hin oder her, Neu-Sänger Tony D’Alessio macht einen verdammt guten Job, gerade, weil er eigentlich kein Stück nach Di Giacomo klingt. Auch er erlaubt sich, gelegentlich einmal ein paar eher unkonventionelle Gesangslinien einzuwerfen, was der ganzen Sache erfreulich viel Frische gibt. Bei den Liveversionen von ‚Il Ragno‘ und ‚Metamorfosi‘, den Bonustracks der Limited Edition, beweist er schließlich auch, dass er das Siebziger-Material durchaus eigen, aber sehr überzeugend und erstaunlich selbstbewusst interpretieren kann und eine inspirierte Wahl als Nachfolger des kauzigen Di Giacoma abgibt.
„Transiberiana“ ist somit auch modernen Prog-Fans, die eventuell mit RPI im Allgemeinen nicht so viel anfangen können, durchaus zu empfehlen. Fans von Banco sollten sich auf ein paar kleine Veränderungen im Gesamtsound einstellen – die werden jedoch organisch eingebracht, ohne dabei die Identität der Band aufs Spiel zu setzen. Wie oben schon erwähnt: hier ist noch jede Menge Leben drin, und es bleibt zu hoffen, dass Banco Del Mutio Soccorso noch ein paar weitere Alben dieser Güteklasse in sich tragen.