The Perfect Ending
Bist du aber groß geworden!
Wie die Brüder Beck wohl auf diese altbackene Begrüßung seitens der Journalistentante reagieren würden? Womöglich würden sie sich einfach unbeeindruckt abwenden und ihrer (musikalischen) Wege ziehen.
Nun ist aber die physische Weiterentwicklung so offenkundig bei einer Band, die im Teenager-Alter ihre Anfänge nimmt, dass die Gefahr groß ist, als Beobachter in eine gewisse Schrulligkeit zu verfallen. Glücklicherweise gibt es bei den Cassels aber anlässlich ihres zweiten Albums „The Perfect Ending“ (Big Scary Monsters) Anderes und viel Interessanteres festzustellen. War das Staunen anno 2015 ob der versierten und reflektierten Debüt-EP schon groß, kann den neusten neun Songs nicht weniger als bewundernde Anerkennung gezollt werden. Ins Jazzige geht nur einer der Wege, die in Weiterentwicklung eines sowieso schon außergewöhnlichen Sounds beschritten werden. Zudem geben sich die Brüder abgeklärter, was sie auch optisch in einer Reihe von vier vorab veröffentlichten, sich aufeinander beziehenden Videos umsetzen. Waren in ihren frühen Videos zu „Let“ oder „When Completing Handshakes“ noch leicht alberne Züge zu verzeichnen, umgibt das Duo jetzt ein fast toughes, in jedem Fall aber künstlerisches Image.
„The Perfect Ending“ gestaltet zwei Merkmale weiter aus, die die Musik der Cassels so charakteristisch machen: plötzliche Energieausbrüche und introvertierte avantgardistische Elemente. Beide werden deutlicher voneinander abgegrenzt, dabei sehr kontrolliert eingesetzt und meisterlich kombiniert. Dazwischen kommt es zu zahlreichen Mikro-Pausen und abrupten Taktwechseln. Jazzige Strukturen entstehen, wenn die Drumsticks dezent, aber dynamisch und präzise auf dem Snare-Rahmen wirbeln und sich mit den lakonischen, in kühler Erzählform vorgetragenen Texten verbinden.
Woher dieses Können der beiden Brüder stammt, ist leicht erklärt. Aufgewachsen in der ländlichen Provinz von Oxfordshire, war das musikalische Experimentieren nach eigenen Aussagen für sie schon früh „eine Ablenkung von der Langeweile, mitten im Nirgendwo zu leben“. Aber die Reife in ihren Songs, woher kommt die? Zumindest ihre Texte lassen auf zwei bemerkenswert eloquente, belesene und intelligente junge Männer schließen. Mitunter will das, was Sänger Jim uns in den Songs mitteilt, mindestens dreimal gehört bzw. gelesen werden, bevor es sich gänzlich erschließt. Und es zwingt wohl auch Muttersprachler, hin und wieder zum Wörterbuch zu greifen (gern auch digital).
Die Cassels präsentieren auf ihrem neuen Album Musik, für die auch die Hörer eine gewisse Reife mitbringen müssen. Dabei ist klar, dass das noch nicht das Ende ist (wenn auch nah dran an perfekt). Angesichts des jungen Alters der Beck-Brüder ist zu erwarten, dass „The Perfect Ending“ lediglich ein weiterer Entwicklungsabschnitt ist auf ihrem Weg nicht unbedingt zum Erwachsenwerden, sondern vielmehr der Ausformung und Festigung ihrer Persönlichkeiten.
Wir begleiten sie mit Freuden und lassen beim nächsten Mal auch die dummen Tanten-Sprüche.