THE OCEAN – Holocene
So wie sich die Erde über Jahrmillionen konstant verändert, so verändert sich das Gesicht der Berliner Modern Progressive Post Metaller The Ocean. Mit jedem Album entwickeln sie sich weiter weg vom Metalcore-Sound zu Beginn dieses Millenniums, hin zu anspruchsvollen Klängen, die einen herausfordern ohne zu überfordern, die explodieren und verführen. Auch ist die einzige Konstante Gründer Roben Stabs, ansonsten bestimmt Transformation die Personalie im The Ocean Collective. Mit „Holocene“ (Pelagic Records) nähert sich der Sechser der Gegenwart der Erdgeschichte.
In acht Kapiteln widmen sich The Ocean dem Antlitz der Erde, wie wir sie im allgemeinen kennen, mit den fünf Kontinenten und seinen Klimazonen, den beiden großen Ozeanen und dem verschiedenen Meeren. Eine vielschichtige Thematik, die sie versuchen, musikalisch umzusetzen. Ob die Lieder die erdgeschichtliche Entwicklung emotional und intellektuell widerspiegeln ist schwer zu sagen, doch die 52 Minuten von „Holocene“ fesseln einen, wie eine gute, spannende Geschichte, ob man sie bis ins Detail versteht oder nicht. Exemplarisch steht dafür der kompakte Opener ,Preboreal‘ – die Zeit 9.000 bis 8.000 Jahre vor dem Jahre Null – mit seiner Dramatik auf der einen Seite und seiner Gelassenheit auf der anderen.
Die Vertonung der Erdgeschichte schreitet voran
Es passiert sehr viel, wenn souverän ruhige Teilstücke in brandenden Tumult übergehen, Melodien, in denen man sich verlieren kann und Rhythmen einen zum Tanzen zu einander finden oder Synthesizer-Einsätze den Sound verfeinert. Jeder Ton, jede Note, jedes der mannigfaltigen eingesetzten Instrumente klingt wohl arrangiert, passt zum nächsten und bildet am Ende ein großes, wohlgefälliges Ganzes. „Holocene“ nimmt den Hörer gefangen mit seinen schmeichelnden Harmonien, nur ihn dann durchzuschütteln und mit einem wehmütigen Opus wie ,Unconformities‘ – vorgetragen mit etwas Kate Bush-Appeal von Karin Park – wieder zu erden.
Das multinationale Sextett fährt so viele Ideen, so viele erzählerische Ebenen auf, dass man meinen könnte, sie müssen irgendwann den Faden verlieren. Doch gekonnt umschiffen sie jede Langweile, jede Länge, halten die Spannung und Entspannung, Quantität und Qualität auf einem ausgewogenen Niveau. Wiederholungen oder bekannte, vertraute Versmaße sind kaum erkenntlich, und doch bleiben die Stücke nachvollziehbar dank der ausgefeilten Songwriting-Kompetenz, die sich das Kollektiv über die Jahre durch die vielzählig involvierten Musiker angeeignet hat.
Was folgt auf das Holozän?
Immer wenn das Gefühl aufkommt, dass The Ocean den Bogen zu überspannen drohen, sei es mit den repetitiven Harmonien, dem atemraubenden Schlagzeugspiel, dem melancholischen Gesang oder den krachenden Gitarren, wechseln sie das Thema, geben sie dem Song eine weitere Facette ihrer musikalischen Anschauung. Auch wenn „Holocene“ aus acht einzelnen Songs besteht, es ist ein in sich geschlossenes Werk, das nur in seiner Gänze, sich entfalten kann, einem in das Holozän, wie es sich The Ocean ausmahlen, entführen kann.
Bewertung: 1-