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THE JEREMY DAYS –  „Es wäre natürlich schön, wenn sich bei den Leuten wieder rumspricht, wie schön es ist, auf Konzerte zu gehen!“

Die Jeremy Days waren die große Pop-Institution der späten 80er und frühen 90er Jahren. Klar, „Brand New Toy“ kennt jeder, der in dieser Zeit Radio gehört hat. Irgendwann aber war das Quintett von der Bildfläche verschwunden, bis 2019 eine eigentlich nie geplante Tour den Anfang machte, das 2022 von „Beauty In Broken“ –dem ersten Album in 27 Jahren– zum beinahe wirklich runden Comeback vervollständigt wurde. Den Kreis so wirklich schließen können die Musiker aber erst in diesen Tagen, mit der dazugehörigen Konzertreise, die vor einem Jahr noch wegen zu geringer Ticketverkäufen abgesagt werden musste. Wir treffen drei Mitglieder der mittlerweile zum Quartett geschrumpften Band kurz vor der Show im Gleis 22 in Münster, zum völlig entspannten Interview auf den Treppenstufen des Clubs bei bestem Oktober-Wetter.

Hallo Stefan, Dirk und Louis! Vor etwa eineinhalb Jahren haben wir uns zur Veröffentlichung Eures ersten Album seit 27 Jahren schon einmal unterhalten. Seitdem ist viel Wasser in allen Flüssen der Welt heruntergeflossen. Könnt Ihr beschreiben, wie der Release von „Beauty in broken“ für Euch war – trotz laufender Pandemie?

Louis: Ich glaube als Künstler geht es eher um das Machen, das heißt, die Aufnahmen, das Kreieren – das ist der Spaß. Eine Veröffentlichung ist dann eine recht abstrakte Größe. Das kann ich im Grunde auch vergleichen mit damals, als wir mit „Brand New Toy“ in den Charts diese hohe Position bezogen haben. Wir haben wirklich jahrelang darauf hingearbeitet, und dann war es soweit. Und im Endeffekt saßen wir abends wieder im Hafenklang und dachten: „Ok, wir haben jetzt Schampus getrunken, aber was bedeutet das jetzt eigentlich? Lass mal lieber am nächsten Song arbeiten!“  So ist das ein bisschen auch mit dem Album. Es ist natürlich toll, aber mit Spotify und Konsorten, haben Alben auch eine andere Wertigkeit.

Damit wären wir direkt bei der nächsten Frage zum Thema Wertigkeit: Wenn Wikipedia nicht lügt, war „Beauty“ die zweithöchste Chart-Platzierung (21) nach Eurem Debüt (18). Tatsächlich war ich ein wenig überrascht, dass insbesondere „Brand New Toy“ ‚nur‘ Platz 11 der Single-Charts war, in meiner Teenie-Erinnerung war das damals ein absoluter Mega-Hit…

Dirk: …das ist das Schöne an sentimentaler Verklärung! (alle lachen)

Könnt Ihr den Unterschied und die Wertigkeit von Chartplatzierungen von damals zu heute erklären?

Dirk: Naja, das ist ja ganz logisch: Eine Chart-Platzierung bedeutet heute gar nichts mehr. Ich wüsste gar nicht, von welchen Charts reden wir jetzt eigentlich? Apple-, Spotify- oder YouTube-Charts? Mir ist das völlig wumpe!

Louis: Wenn man ans Eingemachte geht, ist es heutzutage bei Veröffentlichungen von den großen Acts so, die platzieren ihre Platten so, dass sie ohne Probleme auf Nummer 1 gehen Die werden sich nicht gegenseitig in die Quere kommen. Ob Grönemeyer, die Toten Hosen oder die Ärzte – die wissen ganz genau, da kommt keiner raus, da haben wir mit 10.000 Platten die Chance, Platz 1 zu machen. Das wäre früher nie machbar gewesen.  

Dirk: Also, ich muss sagen, ich war schon total überrascht und habe mich gefreut, weil ich, ehrlich gesagt, gar nicht mehr wusste, dass es überhaupt noch Charts gibt. Aber es war schön, ich hab einen Post gemacht mit der großen Nummer 21!  (lacht)

Stefan: Was ich krass fand, war dann der Kontrast dazu, einfach nicht losgehen zu können, und die Platte zu spielen. Das hat geschmerzt, weil du denkst: Darum geht es! Wir kamen dann tatsächlich in die Situation, wo wir dachten: Bringen wir das Album jetzt überhaupt raus? Wir haben es gemacht, wir könnten es jetzt nicht einfach im Schrank liegen lassen, bis die Zeiten besser werden. Dann haben wir haben uns dafür entschieden, die Platte rauszubringen, aber dann eben noch mal ein Jahr zu warten, bis wir wieder auf Tour gehen.

Ich erinnere mich, Ihr habt an dem Morgen (unseres letzten Interviews) ganz stolz erzählt, die Tour wäre für Herbst gebucht, und Euch mega gefreut! Dann kam im Spätsommer die Absage. Was hat das damals mit euch als Band gemacht, die ja gerade wieder am zusammenkommen war, und wie sehr hat das die Vorfreude jetzt auf die jetzige Tour vielleicht noch mal verdoppelt oder verdreifacht?

Louis: Da hast Du Deine Antwort! (alle lachen)

Dirk: Der Schmerz war schon da. Ich meine, es war sowieso eine Scheiß-Zeit, und dann hast du auch noch diesen Schlag in die Magengrube, wo du gerade dachtest: „OK, jetzt können wir wieder raus.“ Vielleicht war es auch zu früh, die Leute waren noch nicht wieder so weit.

Louis: Für uns war es auch ganz wichtig, einfach dieses Statement gemacht zu haben, und zu sagen: „Leute, die Musikindustrie ist am Arsch!“ Das einfach mal öffentlich darzulegen, nicht immer nur nach dem Motto: „Irgendwie kriegen wir das schon hin.“ Nein! Das musste auch mal ins öffentliche Bewusstsein!

Dirk: Viele Leute wissen ja auch gar nicht – und das ist völlig in Ordnung – was für ein Ding so eine Band ist. Wir fahren mit relativ kleinem Besteck, sind aber trotzdem fünf Leute in der Band, zwei Crew-Mitglieder … Hotelzimmer, Sprinter-Bus, Benzin etc. Wir sind ja Kämpfer bis zum letzten Atemzug, aber loszufahren und einfach zu wissen: „Okay, vielleicht haben wir hier dann ‚nur‘ 5.000 € Schulden am Ende der Tour, aber vielleicht sind es auch 10.000.“ Das ist schon so eine harte Ansage!

Ihr geht ganz offen mit den nach wie vor schwierigen Ticketverkäufen um, und dass Ihr einen ‚Mäzen‘ habt, der Eure Tour in Form des Tourbusses überhaupt ermöglicht. Wie schwierig hat es die Musik- insbesondere die Live-Branche immer noch? Gefühlt für uns Konsumenten scheint alles wieder normal zu laufen?

Dirk: Das ist echt eine schwierige Situation. Ich bekomme das ja auch mit, dass die Leute sagen: „Ed Sheeran hat gestern vor 180.000 gespielt…läuft doch!“, oder „Taylor Swift hat gerade 18 Trillionen Platten verkauft, wo ist das Problem – mecker nicht rum!“

Ich höre von vielen Kollegen, dass es volatil ist auf der Straße. Gerade im mittelgroßen und kleinen Bereich ist es echt schwierig. Die Kosten sind in allen Bereichen gestiegen. Bei den meisten Acts die ich so kenne, ist es halb so viel,  wie vor Corona. Das neue geflügelte Wort ist: ‚Halb voll ist the new sold out!‘.

Da muss man erst mal mit umgehen können, aber umso mehr freuen wir uns einfach, jetzt a) endlich diese Platte spielen zu dürfen, und b) das auch genügend Leute kommen, dass wir am Ende der Tour nicht alle pleite sind. Darauf kann man aufbauen, wir haben einfach viel Spaß. Es sind wirklich, wirklich tolle Konzerte gewesen. Von daher überwiegt die Freude bei diesem ganzen anderen Zeug, was einen natürlich zum Nachdenken anregt.

Louis: Das muss man auch irgendwann mal ausblenden, sondern eher so denken: Geiles Konzert gespielt, super, nächste Stadt!

Also lieber volle kleine Clubs, als gar nicht spielen?

Stefan: Ich find‘s richtig überraschend – ganz ehrlich! Für mich ist es eine große Überraschung, wie sich das anfühlt, so kleine Clubs zu spielen. Es ist nämlich viel geiler, als ich es in Erinnerung hatte. Es hat einen totalen Mehrwert! Es kommen weniger Leute, aber die kommen bewusster. Uns ist es auch bewusster, dass die kommen! Du freust dich viel mehr über jeden Einzelnen. Außerdem ist so, dass in diesen Clubs eine unfassbare Energie entsteht, weil die Räume viel kleiner sind, und dadurch hast du einen richtigen, einen kompakten Sound, und das macht so eine Laune!

Louis: Konzertgrößen sind ja immer auch ein Maßstab für Erfolg. Was bei uns einfach ziemlich klar ist, dass wir jetzt nicht auf dem Weg nach oben sind. Wir liegen zwischen 300er- und 600er-Kapazitäten. Den Leuten ist es egal, ob wir im Wohnzimmer spielen oder einer achthunderter Bühne Es sind alles altbekannte Gesichter, ein paar neue kommen dazu, und es ist geil!

Das verspricht dann ja Großes für heute Abend!

Dirk: Dazu muss ich sagen, kleiner oder großer Club ist total relativ, weil für mich… (wendet sich wie ein Radiosprecher an die Whiskey-Soda.de-Leser*innen): „Liebe Zuhörer, wir befinden uns hier gerade in Münster, wir spielen heute Abend im Gleis 22!“

Ich komme aus meiner 20-jährigen Tapete-Welt (Anmerkung der Redaktion: Dirk war früher Gründer und Mitinhaber von Tapete Records, Label von u.a. Niels Frevert, Bernd Begemann und Peter Licht). Für alle unsere Künstler war das hier ein richtig fetter Laden! Bei uns lief das immer nach dem Motto: „Was, Ihr spielt im Gleis, das geht ja richtig ab bei Euch!“

Hey, der Laden wurde gefühlt 15 Jahre lang als bester Indie-Club Deutschland von den Intro-Lesern gewählt… this was the place to be, wenn du nach Münster kamst!

Erfolg ist also immer relativ?

Stefan: Klar! Das ist wirklich die nächste Frage, was ist Erfolg? Je kleiner das Ding, umso intensiver kommst du mit den Leuten ins Gespräch hinterher, und du hörst Geschichten, was es für die Leute bedeutet. Das ist der neue Erfolg für mich! Es kommen Leute hinterher auf dich zu, und sagen einfach: „Danke, für das schöne Konzert!“ Das passiert bei größeren Sachen nicht.

Merkt man sonst einen Unterschied zur Prä-Coronazeit?

Dirk: Also von der Zuschauerzahl auf jeden Fall. (…) Du merkst es auch in den Aussagen von Leuten, die sagen, ich wollte noch einen Kumpel mitbringen, aber der hatte keine Lust, und ist zu Hause geblieben. Das ist die neue Bequemlichkeit! (…) Aber um auch mal was Positives anzumerken: Was die Energie und den Enthusiasmus  angeht, das ist krass! Die letzte Tour (2019) war auch geil, aber jetzt merkt man: Endlich, die vier Jahre sind vorbei! Da ist eine ganz andere Energie! Es wäre natürlich schön, wenn sich bei den Leuten wieder rumspricht, wie schön es ist, auf Konzerte zu gehen!

Wie muss man sich Eure Band-Orga vorstellen, Louis lebt in den USA, der Rest in Deutschland?

Stefan: Wir machen viel über Zoom …

…und das klappt?

Louis: Also wir sprechen über Zoom. Wir treffen uns einmal in der Woche und quatschen: „Was machst du so, wie geht es den Kindern, usw.“ Zum Proben treffen wir uns in Person, da komme ich dann meistens ein wenig früher her, dann haben wir noch ein bisschen Zeit zu proben und uns zusammenzuruckeln. Das ist dann punktuell.

Dirk: Es ist einfach, was es ist. Es ist keine ‚jeden Freitagabend mit der Kiste Bier im Feldstraßen-Bunker Probe‘, das war es bei uns zehn Jahre lang. Von diesen ganzen Proben -wir haben extrem viel geprobt- zehren wir immer noch.

Geht man als Band, insbesondere nachdem die Tour schon abgesagt war, jetzt auf Nummer sicher, was die Programmgestaltung angeht, oder anders gefragt: Wie viele neue Songs mutet man den Leuten zu?

Dirk: Wir haben ein buntes Potpourri an Songs JDays 1.0 und 2.0. Klar, die Tour heißt „Beauty in Broken“, von daher spielen wir natürlich auch Stücke vom neuen Album. Aber wir haben ja eine Historie, und natürlich spielen wir da Sachen von unseren diversen Alben. Ich habe mir eher auch Gedanken darüber gemacht, wird das alles zusammen passen? Kann man nach „Beauty in Broken“ direkt „Rom Wasn’t Built In A Day“  spielen? Dazwischen liegen 30 Jahre. Es funktioniert erstaunlich gut, es ist alles echt homogen, und manchmal weiß ich gar nicht mehr, ist das ein neues oder altes Lied, und irgendwann ist das dann auch egal!

Dann wär ich schon bei der letzten Frage. Die Tour läuft ja noch bis nächste Woche, wie geht‘s danach weiter? Wird schon an neuen Songs geschraubt?

Dirk: Die Magie der neuen JDays ist eigentlich nicht, dass wir ständig Meetings haben, wo wir neue Pläne machen, sondern alles relativ entspannt angehen. Wir wollten jetzt diese Tour machen. Danach setzen wir uns zusammen und gucken, wie, wann, was weitergeht. Ich kann jetzt von meiner Seite schon mal feststellen, diese Tour bringt so viel Spaß, wir verstehen uns wirklich gut, besser als vor 30 Jahren! Es bringt einen Spaß mit den Leuten – und es kommen auch noch welche. Wir haben eine gute Zeit! Es wäre ziemlich fahrlässig, nicht in irgendeiner Form weiterzumachen – aber Näheres werden wir später besprechen!

Lieber Louis, lieber Stefan und lieber Dirk, vielen Dank für das freundliche Gespräch, und bis gleich bei der Show!

Wir danken und bis gleich!

 

Mttlerweile ist die Tournee beendet. Wer wissen will, wie das Konzert im Gleis 22 war, der sollte hier vorbeischauen.

 

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Fotocredit: Wollo@Whiskey-Soda.com

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