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The Italian Job

Es ist kaum zu glauben: „The Italian Job“ ist tatsächlich das erste offizielle und weltweit erhältliche Livealbum der AOR-Kultband FM seit dem Akustik-Dreher „No Electricity Required“. Zwar erschienen ein paar Livemitschnitte auf diversen exklusiv über die Website der Band erhältlichen EPs und sogar DVDs, aber dank der Melodic-Rock-Spezis von Frontiers gibt es nun auch ein FM-Livescheibchen, das jeder Fan ganz konventionell beim Plattendealer seines Vertrauens abgreifen kann.

Mitgeschnitten beim Frontiers-Labelfestival 2018 in Milan erlebt man hier achtzig Minuten lang eine der besten Bands des Genres in Bestform, sowohl auf DVD als auch auf CD. Letztere wurde um ein paar Ansagen und Publikumsspielchen gekürzt, enthält aber die selben Songs. Nun hält sich ja hartnäckig das Vorurteil, das AOR auf der Bühne nur bedingt funktioniert. In der Tat, viele Genre-Bands, darunter auch einige Größen, haben ein echtes Problem damit, die perfekt produzierten Songs live auf die Bühne zu bringen – man bekommt oft entweder abgespeckte Versionen zu hören, die im schlimmsten Fall ihre Wirkung verlieren oder, alternativ, perfekt reproduzierte Songs, die keinerlei Livestimmung mehr transportieren. Angeführt von Goldstimme Steve Overland führen FM mit „The Italian Job“ aber vor, dass es durchaus möglich ist, die Originalversionen mit allen Details zu performen und trotzdem druckvoll zu grooven und jede Menge Laune zu versprühen. Neben dem erwähnten Sänger ist vor allem die Rhythmusgruppe Pete Jupp (dr) und Merv Goldsworthy (bs) zu erwähnen. Man hört den beiden ihre 35 Jahre andauernde Zusammenarbeit fraglos an – das groovt und rockt so schön natürlich, wie das nur langjährig eingespielte Rhythmus-Buddies hinbekommen. Auch die seit dem „Rockville“-Album fest an Bord befindlichen Jim Kirkpatrick (gtr) und Jem Davis (keys) passen sich perfekt ein – bei FM gibt’s keinen Platz für Ego-Trips, der Song steht im Vordergrund. Dennoch ist freilich genug Platz für eine ganze Reihe exzellenter Gitarrensoli von Maestro Kirkpatrick, der mit Goldsworthy auch noch für die Backings sorgt.

Die Songauswahl ist wie so oft Geschmackssache. Auf „The Italian Job“ dominieren die Songs der ersten beiden Alben, ohne Frage die bekanntesten und erfolgreichsten Scheiben der Band. Von „Tough It Out“ gibt’s gleich fünf Songs, von „Indiscreet“ vier plus die 1987er Non-Album-Single ‚Let Love Be The Leader‘. Da kommt der Rest des Backkataloges naturgemäß ein wenig kurz. Auch wenn die Band sich bemüht, so ziemlich jedes Album zumindest anzuschneiden, fehlen dennoch Songs der ehedem ein wenig untergegangenen Neunziger-Alben „Takin‘ It To The Streets“, „Dead Man’s Shoes“ und „Paraphernalia“. Aber das ist natürlich ein reines Luxusproblem – FM könnten ein Vier-Stunden-Set füllen – und es würden immer noch einige Fan-Faves fehlen. Die achtzig Minuten kommen jedenfalls komplett ohne Füller aus, und was soll schon schiefgehen, wenn AOR-Klassiker wie ‚That Girl‘, ‚Other Side Of Midnight‘, ‚Closer To Heaven‘, ‚Bad Luck‘ und ‚I Belong To The Night‘ mit neuerem, genauso edlem Stoff wie ‚Black Magic‘, ‚Life Is A Highway‘ und ‚Over You‘ gemischt werden?

Auch soundtechnisch ist „The Italian Job“ absolut perfekt ausgefallen, ohne dabei steril zu wirken. Die DVD zeigt auch einen ohne großen Firlefanz abgefilmten Gig, der keine MTV-Schnitte oder seltsame Effekte nötig hat – man kann einfach einer Weltklasseband dabei zuschauen, wie sie gemeinsam mit ihrem Publikum eine gute Zeit hat. Steve Overland sieht zwar mittlerweile aus wie ein netter Bio- oder Physik-Lehrer (falls so etwas vorstellbar ist), wenn ihm aber aufgrund der begeisterten Fangesänge vor Freude die Worte verlassen, kann man nicht anders, als sich mit ihm zu freuen.

Fans der Band brauchen eh‘ keine Empfehlung mehr, aber auch der Rest der AOR-/Classic-Rock-Welt, der sich bisher noch nicht mit der Band beschäftigt hat, bekommen hier einen exzellenten Einstieg geboten – und das sind trotz der Tatsache, das FM in ihrer kompletten Karriere noch nicht ein einziges schwaches Album gemacht haben, immer noch viel zu viele. Also: JEDER, der Alben von Journey, Boston, Bad Company, Whitesnake, Foreigner, REO Speedwagon, Magnum oder Bon Jovi in seiner Sammlung stehen hat, sollte sich „The Italian Job“ sofort auf die Einkaufliste schreiben. Wäre schön, wenn FM endlich mal ihren Underdog-Status hinter sich lassen und auch kommerziell gesehen endlich in die vorderen Ränge der Plüschrocker aufsteigen. Qualitativ sind sie dort nämlich, wie auf „The Italian Job“ einmal mehr nachzuhören, seit 1985 nicht mehr wegzudenken.

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