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Shock

Wenn ich es nicht gewusst hätte, dass Def Leppards Phil Collen das neue Tesla-Album produziert hat – es hätte nicht viel Nachdenken gebraucht, um drauf zu kommen. Denn, soviel vorneweg, „Shock“ dürfte Tesla-Anhänger hauptsächlich damit schockieren, dass es nicht sonderlich nach Tesla klingt, sondern ziemlich exakt wie eine Mischung der letzten beiden Def Leppard-Alben „Songs From The Sparkle Lounge“ und „Def Leppard“.

Ja, in der Tat, wäre die unverkennbare Stimme von Jeff Keith nicht, man würde kaum Anzeichen dafür finden, es hier mit Sacramento’s Finest zu tun zu haben. Wo das letzte Album „Simplicity“ noch eine – wenn auch weit weniger heavy ausgefallene und songwritingtechnisch her eher schwache – Rückkehr zum Bluesrock-beeinflussten Stil der ersten beiden Alben brachte, gibt es diesmal poppige Dreieinhalb-Minuten-Songs, mit typischen Leppard-Riffs, der typischen Leppard-Produktion, den typischen Leppard-Backingchören, im Titelsong sogar den typischen Leppard-Drumloops – ich glaub‘, Ihr versteht, auf was ich herauswill. Gelegentlich scheint durch, dass ein Song wie leicht soulig angehauchte ‚Love Is A Fire‘ oder die ordentlich bratenden ‚Tied To The Tracks‘ und ‚I Want Everything‘ irgendwo unter dem sauberen, eher an eine moderne Variante des britischen Glamrock als an Grand Funk und Konsorten angelehnten Sound auch gut auf ein früheres Tesla-Album gepasst hätten. Aber generell dominiert Phil Collen, der auch am Songwriting beteiligt war, das Geschehen, nicht die Band, die er produziert hat.

Nun aber das Dilemma: natürlich klingt das Album nur bedingt nach Tesla, aber „Slang“, äh, „Shock“ ist überaschenderweise trotzdem ihr bestes Album seit (mindestens) „Bust A Nut“. Warum? Nun, einerseits, weil „Shock“ endlich mal wieder durchweg launigen Rock’n’Roll bietet und sich nicht an irgendwelchen „modernen“ Elementen schwertut. Hauptsächlich aber, weil die Songs einfach stimmen – ob sie nun nach Def Leppard, Tesla oder Kid Rock klingen, wie zum Beispiel der bereits verdächtig betitelte ‚California Summer Song‘. Zwölf Songs in 44 Minuten – hätte ich nie gedacht, dass so was bei Tesla mal möglich wäre. Queen-artige Gitarren-Harmonien im angefunkten, Stripclub-kompatiblen Groover ‚Comfort Zone‘? Purer AOR mit Foreigner-Anleihen auf ‚The Mission‘? Eine ELO-Ballade mit Streichern wie ‚Forever Loving You‘? Geht alles, und gelingt auch alles! Und wenn genau hinhört, könnt ihr gelegentlich sogar Frank Hannons Slide-Gitarre hören – und wenn Ihr lieb seid, vielleicht sogar einen Schlumpf sehen.

Nun, das Dilemma ist also, wie man mit dem Album umgeht. Einerseits ist „Shock“ ein ganz tolles, modern produziertes Melodic-Rock-Album geworden, den Appetit auf „richtigen“ Tesla-Stoff befriedigt es aber nur ungenügend. Das tat aber fairerweise keines der Alben seit der Reunion 2000 mit Ausnahme des genialen Cover-Doppeldeckers „Real To Reel“. Somit ist der Tesla-untypische Sound eigentlich doch kein großartiger Schock – und da die Band ehedem ständig mit Def Leppard tourt (wie derzeit gerade wieder), vielleicht sogar ein cleverer kommerzieller Schachzug. Mir gefällt’s jedenfalls, und „Shock“ gehört objektiv gesehen ganz eindeutig zu den besten Hardrock-Alben, die mir in den letzten Monaten untergekommen sind. Wenn nur etwas mehr vom typischen Tesla-Stil durchklingen würde, gäb’s hier ne Bewertung im Einserbereich, so ziehe ich aber konsequenterweise eine Note ab – weil irgendwie trotzdem ein Gschmäckle zurückbleibt. Und überhaupt, man soll das Abschreiben ja nicht für den Rest der Klasse ermutigen…

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