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SARAH WALK – „Es liegt nicht in der Verantwortung der Außenseiter, sich einen Weg zu bahnen“

Was inspiriert dich beim Songschreiben?

Normalerweise beginne ich mit einem Riff oder einer Progression auf der Gitarre oder dem Piano, die mich inspiriert und mir Lust macht, mich darauf einzulassen. Manchmal ist es auch ein Schlagzeug-Groove. Normalerweise singe ich phonetisch – oft führt mich das Singen ohne dabei nachzudenken zu etwas Spannendem. Ich nehme immer alles mit dem Handy auf und höre es mir dann an, weil ich fast immer eine Art Kern finde, an dem ich mich festhalten und den Rest des Songs darauf aufbauen kann.

Was bedeuten dir deine Songtexte und was willst du damit sagen?

Meine Texte hängen wirklich davon ab, was ich gerade in meinem Leben durchmache. Ich habe das Glück, ein Ventil zu haben, das mir einen Zeitstempel für bestimmte Kapitel in meinem Leben gibt. Mein neues Album, das 2024 erscheinen wird, ist wirklich ein Konzeptalbum, das meine Reise zur Erforschung meines Geschlechts, meines Körpers und der ganzen Grauzone dazwischen beschreibt.

Gibt es eine bestimmte Botschaft, die du mit deiner Musik vermitteln möchtest, oder ein Thema, das dir besonders am Herzen liegt?

Mit dem neuen Album konzentriere ich mich auf meine Operation, einer geschlechtsangleichenden Operation, die ich im August 2022 erhielt. Das Album beginnt mit meinen ersten Gedanken, ob ich das tun möchte oder nicht – lange bevor ich überhaupt selbstbewusst genug war, es anderen gegenüber laut auszusprechen. Es endet mit dem letzten Song, „Anesthesia“, in dem es um die letzten Momente vor meiner Operation geht. Er folgt all den Emotionen, die dabei in mir hochkamen: Scham, Wut, Bedauern, Verleugnung, Akzeptanz, Befreiung … und Zuversicht.

Ich hoffe wirklich, dass dieses Album queere und/oder nicht-binäre/trans Menschen erreicht, die mit dem Gedanken spielen oder sich in diesem Prozess befinden. Ich hoffe wirklich, dass es anderen Trost spenden und hilfreich sein kann.

Wie sieht dein kreativer Prozess aus, wenn du neue Lieder schreibst? Gibt es Rituale oder Gewohnheiten, die dir dabei helfen?

Nicht wirklich. Ich habe das Gefühl, dass die besten Songs, die ich (selbst) schreibe, schnell entstehen. Als wäre ich ein Gefäß für eine Idee, wofür ich nichts groß getan habe.

Aber für Co-Writer kann es sich oft wie eine Menge Arbeit anfühlen, weil es eine Gemeinschaftsarbeit ist. Es ist ein ganz anderer Prozess, zumindest für mich, aber ich genieße es wirklich, auch diese Dynamik zu nutzen.

Du bist bekannt dafür, dass du viel Zeit damit verbringst, deine Songs zu verfeinern oder neu zu schreiben. Wie findest du trotzdem ein Ende?

Indem ich weiß, dass nichts jemals endgültig ist. Auch dadurch, dass ich alte Songs auf eine neue Art und Weise veröffentlicht habe, konnte ich bestimmte Versionen von Songs loslassen und mich dabei gut fühlen, weil ich wusste, dass es nur ein Screenshot eines Moments und einer Entscheidung war. Wenn ich nicht so denke, kann es leicht passieren, dass ich in eine Art Entscheidungslähmung verfalle. Der Song muss mich wirklich etwas fühlen lassen, denn wie soll das sonst jemand anderes tun?

Wie beeinflussen deine persönlichen Erfahrungen als queere Künstlerin deine Musik und wie hast du diese Erfahrungen in deine Songs einfließen lassen?

Ich glaube nicht, dass es mein Songwriting bisher beeinflusst hat, nur weil das neue Album die Erfahrung der Operation und Geschlechtsangleichung thematisiert. Ich denke, dass es meine Musik nur dann beeinflusst, wenn der Song direkt mit meiner Erfahrung als marginalisierte Person zu tun hat.

Die Thematisierung von Identität soll Verständnis schaffen. Glaubst du, dass die Gemeinschaften zu sehr gegeneinander kämpfen?

Ich glaube, man muss aktiver und bewusster aufeinander hören. Ich bin besorgt über die Spaltung der Gruppen und die Annahme, dass jeder, der nicht zur eigenen Gemeinschaft gehört, der Feind ist. Leider ist die Welt, in der wir heute leben, nicht für alle gleich – aber es gibt keine Chance, das zu heilen oder zu ändern, wenn wir kein echtes Interesse und keine Neugier haben, andere Erfahrungen in der Welt zu verstehen.

Wie geht du damit um, dass die Musikindustrie so sehr von Männern dominiert wird?

Das macht es schwer, ernst genommen zu werden. Ich denke, als Frau muss man wirklich doppelt so selbstbewusst sein, aber das Imposter-Syndrom ist ständig präsent. Es wird besser, und einige der talentiertesten Musikschaffenden sind Frauen. Aber es gibt immer noch bestimmte Karrierewege in der Branche, die fast ausschließlich von Männern eingeschlagen werden. Ich erinnere mich, dass es auf der letzten Tournee, eine Frau gab, die an einem Veranstaltungsort den FOH (wahrscheinlich das einzige Mal von ca. 80 Shows) gemacht hat. Ehrlich gesagt war das einer meiner liebsten Bühnensounds. Ich denke, es gibt ein Verständnis für Fürsorge und Rücksichtnahme, das man bei Männern manchmal nicht so leicht findet. Als Frau weiß man, wie schwer es ist, ernst genommen zu werden – wenn man also andere Frauen in der Branche trifft, weiß man, dass man gesehen und respektiert wird. Ich hoffe wirklich, dass es mehr und mehr Frauen, nicht-binäre und Trans-Menschen und POC in allen Bereichen gibt – in jeder Branche! Je mehr wir darüber reden, desto besser, denn ich glaube nicht, dass viele Leute es überhaupt in Betracht ziehen, Raum für diese Minderheiten zu schaffen. Es liegt nicht in der Verantwortung derjenigen, die am Rande stehen, sich einen Weg zu bahnen – zumindest nicht mehr als alle anderen.

Ach ja, bevor am Ende wieder alle sagen, sie hätten von nichts gewusst, hier nochmal der dezente Hinweis darauf, dass die Ticketbestände knapp werden:

28.11.23 Konstanz Kulturladen

29.11.23 Wien (AU) Clash

30.11.23 München Kult 9

01.12.23 Pforzheim Horch! – sold out

02.12.23 secret show – sold out

03.12.23 St. Gallen (CH) Folk Cafe – low ticket alert

05.12.23 Hannover Lux

06.12.23 Nürnberg Stereo

07.12.23 Braunschweig Riptide

08.12.23 Dresden Blechschloss

09.12.23 Langenberg KGB

10.12.23 Frankfurt a. M. Nachtleben

Fotocredit: Daniel Smith Coleman

Sarah Walk Bandhomepage

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