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The Tide

Der britische Underground-Prog kennt so viele Projekte und One-Off-Kollaborationen wie ansonsten nur der norwegische Black Metal in den späten 1990ern. Und wie bei den pandagesichtigen Kollegen sind es auch da eigentlich immer die selben Kandidaten, die in stets wechselnder Besetzung miteinander kollaborieren. Auch bei Riversea finden sich mit Marc Atkinson (bekannt durch Nine Stones Close) und Lee Abraham (Galahad), Simon Godfrey (Tinyfish) und Robin Armstrong (Boss von Cosmograf und mittlerweile Mitglied von Big Big Train) eine Reihe vertrauter Namen.

Dabei hat Riversea laut Booklet zumindest ein festes Line-Up, nur eben keinen Gitarristen. Es sei der Band dringend geraten, dieses Manko baldmöglichst auszumerzen und auf Tour zu gehen, denn mit „The Tide“ haben sie ein außerordentlich gelungenes Album vorgelegt, das qualitativ in der allerobersten Liga mitspielen kann. Stilistisch zwischen den letzten paar Marillion-Alben, Gazpacho, no-man und Anathema angesiedelt, punkten Riversea vor allem mit viel Atmosphäre und höchst eingängigen Melodien. Ob das noch Prog ist, darüber dürfen die Schubladen-Fetischisten nun beherzt streiten – was aber nicht wegzudiskutieren geht, ist die Klasse des Dargebotenen. Als Beispiel und Anspieltip sei hier einmal der Song ‚Blasphemy‘ genannt. Nach Floyd-inspiriertem Beginn inklusive Sprachsamples folgt ein sehnsüchtiges Piano und Atkinsons emotionaler Gesang, bevor das Ganze sich ab der Hälfte in ein energiegeladenes, perkussives Finale steigert, das ein wenig an Mike Oldfield erinnert. Wie der Rest des Albums (mit einer Ausnahme) überschreitet auch ‚Blasphemy‘ nicht die Sechs-Minuten-Marke, es bleibt also alles relativ tight arrangiert. Einziger Kritikpunkt: es finden sich gelegentlich Passagen, die recht deutlich an Riverseas musikalische Kollegen erinnern. So basiert ‚The Last Day‘ teilweise auf einer Akkordfolge, die Marillion-Fans sofort aus ‚Bridge‘ wiedererkennen werden, und ‚Goodbye My Friend‘ erinnert mich an einen älteren Snow Patrol-Song, dessen Titel mir jetzt aber partout nicht einfallen will. Das sind aber kleinere Schnitzer, die den Gesamteindruck nicht trüben können.

Auch der Sound ist für eine Eigenproduktion absolut exzellent ausgefallen, schön dynamisch, offen und vor allem angenehm warm. Abgerundet wird das Gesamtpaket von einem ebenfalls schönen, atmosphärisch perfekt zur Musik passenden Artwork von Ed Unitsky, der auch bereits Alben von The Tangent und Samurai Of Prog optisch veredelt hat. Wie oben erwähnt, es bleibt die Hoffnung, dass die Macher von Riversea ihr Projekt möglichst bald zu einer echten Band umwandeln, denn „The Tide“ offenbart eine Menge Potenzial, das auf weitere Großtaten neugierig macht. So oder so, für Freunde entspannt-melancholischen Artrocks ist „The Tide“ ein absoluter Kauftipp – und für mich einer der Höhepunkte des bisherigen Prog-Jahres. Zu beziehen über den Webshop von Just For Kicks.

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