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Out

Mäander, Täler, Durststrecken, Explosionen und ein bisschen Trompete. Die Landkarte des dritten Album ‚Out‘ der Nerven ist schwer zu lesen, da sie vor lauter Emotionen und Extremen völlig zerrissen und zerknittert ist. Verzweiflung ist hier in tanzbarer Düsternis dargeboten, die sich jedoch in Windeseile in gelähmte Sprachlosigkeit verwandeln kann, wenn das Hirn plötzlich verarbeitet, was die Texte dort herausbrüllen. Nein, Die Nerven spielen hier nicht, sie leben das alles mit Haut und Haar. ‚Und wie man fliegt hast du verlernt‘ heißt es in ‚Wüste‘. Während es dazu an allen Ecken und Ende scheppert, ist der Gesang so intensiv nüchtern resignierend, dass es einem eiskalt den Nacken herunterläuft.

Überhaupt ist dies das Prinzip, das auf ‚Out‘ konsequent verfolgt wird. Die Stücke entfalten sich langsam, bäumen sich bedrohlich auf, explodieren in größtmöglicher Wucht, fallen in sich zusammen, recken sich in einem irrwitzigen Kraftakt ein letztes Mal in den Weltraum, ehe das Ganze von neuem beginnt. Zehn Akte bietet dieses Drama voller Zorn und Verdruss, doch zu keiner Sekunde wird die Wiederholung langweilig. Es ist aufrüttelnd, wenn sich die unglaublich schneidige Gitarre von Max Rieger in die vor Druck überschäumenden Schläge von Drummer Kevin Kuhn wirft, nachdem zuvor Bass und Sprechgesang hypnotisch zusammen Hand in Hand gegangen sind.

Die Nerven präsentieren hier echte Wut. Der zusammengeworfene Stadthaufen Stuttgart-Esslingen, mit all seinen gekünstelten Karosseriebauer-Wappen, Einfamilienfestungen und perfekt getrimmten Rasenflächen ist für die Band kein Heimathafen. Die Feststellung

‚Ich gehe barfuß durch die Scherben, ohne mich zu verletzen‘

aus der ersten Single ‚Barfuß durch die Scherben‘ ist anklagend und überlebensbejahend zugleich. Der nichtssagende, mitlaufende Dreck, den die Masse hinterlässt, kann gar nicht so auswuchernd sein, dass er alle Andersdenkenden unter sich begräbt.

In ‚Out‘ setzt sich demnach auch ein großer Teil Trotz durch:

‚Du erkennst mich schon von Weitem, die Unschuld in Person / Ein Schatten auf den Straßen, ein dissonanter Ton‘

. Es ist müßig, weitere Zitate aus ‚Out‘ herauszusuchen, da sie in überbrodelnder Dynamik in allen Liedern zu finden sind. Hier fällt nichts ab, im Gegenteil: ‚Out‘ wird mit jeder Sekunde größer, weil es in gewaltiger Intensität gegen den Kopf pocht. Und wer das Fanal des Ausbrechens immer noch überhört hat, dem säuselt als Sahnekirsche noch eine alarmierende Trompete in die Ohren.

In ‚I Phone‘ windet sich über Minuten die Zeile

‚Das alles ist nicht echt‘

unglaubwürdig in den Hall. Doch, es ist alles echt! Was hier passiert, ist echt, mit allen Nebenwirkungen. Für die Platte ist das ein Glücksfall. Für die Realität, die in dringlichster Weise besungen wird, leider nicht.

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