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Och

Singer/Songwriter…man kann diesen Ausdruck schon nicht mehr hören. Jeder, der mit einer Gitarre schon einmal vor mehr als drei Leuten saß, will sich so nennen. Da wird unterbewusst schon mal der Kamm rausgeholt und alle werden über diesen geschert. Leider gehen dabei die einzelnen Strähnen an wirklich guten Musikern, die halt keinen Bock auf Band, dafür aber mindestens genauso viel Wirkung auf der Bühne haben, verloren. Nils Christian Wédtke ist für mich einer dieser wahren Singer/Songwriter. Wie es sich für einen Musiker dieses Genres gehört, legt er sein Augenmerk eher auf feinsinnige Texte und reduzierte Instrumentalisierung. Viel Inhalt, ohne viel Tamtam. Was ihn von vielen Nachahmer und Trittbrettfahrern unterscheidet ist jedoch die Tatsache, dass der Hamburger Liedermacher tatsächlich etwas zu sagen hat. Das macht er auf eine sehr interessante und spitzfindige Art und Weise, sodass man eben doch an seinen Lippen hängt. Sein aktuelles Album ‚Och‘ greift dieses Talent zum Alleinunterhalter auf und entwickelt Wédtkes Musik gleichzeitig weiter. In gewohnter Manier ist er intelligent, angenehm zurückhaltend und romantisch, ohne abgedroschene Liebeslieder zu singen. In seinen Texten springt der er zwischen Metaphern und klaren Aussagen, ohne jegliche Ironie, hin und her.

Dabei fährt Wédtke niemals aus der Haut, rastet nie aus, ist immer sanft und einfühlsam. Klingt langweilig? Nun, nach demselben Rezept kocht auch ein gewisser Clueso und ist damit sehr erfolgreich. Genau wie sein Pendant aus Erfurt verlässt Nils Christian Wédtke auf ‚Och‘ den Weg des klassischen Singer/Songwriters ab und zu und lässt die Instrumente sprechen. Auch die haben durchaus was zu sagen. Im Song ‚Morgenlicht‘ wird irgendwann einfach aufgehört zu singen und die Band drängt in den Vordergrund bis der Song schließlich ausklingt. Das fühlt sich keineswegs komisch, eher vollkommen richtig und natürlich an. So wird ‚Morgenlicht‘ zum wohl emotionalsten Song des Albums. Überhaupt scheint alles an seinem richtigen Platz und in der richtigen Intensität vorhanden zu sein. Gerade wegen der extremen Stimmigkeit, vermisse ich jedoch die ein oder anderen Ecken und Kanten. Die kommen zweifelsohne im Text, jedoch weder im Gesang noch instrumental vor.

Der absolute Hit der Platte ist ‚Ach, Bielefeld‘ . In feinster Rainald-Grebe-Manier zählt Wédtke hier die negativen Eigenschaften der Stadt auf, aber nicht, um sich darüber lustig zu machen. Schnell wird klar, dass der Hamburger Bielefeld eigentlich schon sehr lieb hat, weil er sich selbst genau mit diesen schlechten Eigenschaften identifizieren kann. Das ist ein interessanter Blickwinkel, der er mit viel Witz zu einem Mitsing-Klassiker werden könnte. ‚Raubtier‘ ist ein sehr gesellschaftskritischer Polka-Song mit jeder Menge Galgenhumor à la ‚Blitzkredit Bop‘ von Muff Potter. Nils Christian Wédtke ist vielleicht nicht die lauteste Stimme auf den kleinen Singer-/Songwriter-Bühnen, aber er überzeugt mit Einzigartigkeit und mit Charakter in den Zeilen und seiner Stimme. Er hat so viel zu erzählen, dass man an diesem Album wirklich lange Freude hat, bis man alle Facetten durchkämmt hat.

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