Lust For Life
Sie ist wieder da, das PinUp-Girl der alternden Hipster-Elite, die Erfinderin des Sad Pop (Mark Hollis lacht im Hintergrund), diese Wunschkreatur aus David Lynch-Fantasie, Hippie-Beach Bunny, Dita Von Teese-Verruchtheit und Achtziger-Jahre-Groupie. Nachdem das Multiplatin-Debüt „Born To Die“ bei genauerem Hinsehen neben der unbestreitbar packenden Gesangsleistung eben doch nur recht konventionellen, beschaulichen Pop – heimtückisch in Tiefe suggerierende Mollakkorde verkleidet – und wenig musikalischen Reiz bot, wurde sicherheitshalber nach dem von Dan Auerbach produzierten, in der Tat musikalisch ansprechender geratenen „Ultraviolence“ vorausgesagt, mit dem nächsten Album käme das große unkommerzielle Meisterwerk, das „Low“, „The Idiot“, „Nite Flights“ und „Over The Hump“ in Trümmern zurücklassen würde. Mindestens. Wenn nicht mit dem nächsten Album, dann mit dem Übernächsten. Oder dem Darauffolgenden.
Nun, sind wir beim vierten vollständigen Album, und die Transition von ‚The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore‘ zu ‚The Electrician‘ bleibt Del Rey ihren Anhängern weiterhin schuldig. Mit dem aktuellen Album „Lust For Life“ präsentiert Frau Del Rey nämlich ihr bislang offensichtlich kommerziellstes Werk. Immer noch gibt es massenweise traurig gewisperte Balladen über Schmerz, Enttäuschung und Hedonismus, abgeschmeckt mit den TripHop-Light-Loops, die bei „Born To Die“ schon so wunderbar funktioniert haben. Zur Sicherheit dürfen aber nun auch Max Martin (Backstreet Boys, Britney Spears, Katy Perry) und Benny Blanco (Selena Gomez, Justin Bieber, Ed Sheeran) als Co-Writer ‚ran, The Weeknd (der Mann, dem Schlemihl nur drei E’s verkauft hat) darf mitsäuseln, und es gibt Features der Rapper ASAP Rocky und Playboi Carti, aber auch von Stevie Nicks und Sean Ono Lennon – nur, um sicherzugehen, daß jede Zielgruppe sich bedient fühlt. Dabei kommen höchst coole Songs wie der Elektro-Walzer ‚Cherry‘, die großartige Piano-Nummer ‚Change‘, das Brian Wilson-würdige Lennon-Duett ‚Tomorrow Never Came‘ und das atmosphärische ‚Heroin‘ heraus, aber eben auch aufgeblasenes Nichts wie das genausogut zu Ariana Grande und dem Rest der Disney-Blase passende Titelstück und schlicht Doofes wie ‚Summer Bummer‘, das so peinlich klingt, wie der Titel sich liest und nicht einmal von der wie immer großartigen Stimme gerettet werden.
Wie erwähnt, Lana Del Rey hat nie die Avantgarde oder generell etwas Anderes als Pop versprochen. Dennoch kann man sich des Verdachtes nicht erwehren, daß ein gutes Drittel von „Lust For Life“ keinesfalls aus dem Drang einer künstlerischen Stellungnahme entstanden sind, sondern aus dem Druck der Plattenfirma, endlich mal wieder ordentlich was zu verkaufen. Ob eine Anbiederung an die Massenware bei Lana Del Rey Sinn macht oder nicht, wird die Zeit zeigen – doch man kann wohl mit gutem Gewissen sagen, daß so oder so wohl kein kreatives Freischwimmen samt künstlerischem Meisterstück aus dieser Ecke mehr zu erwarten ist. Und das ist dann doch zumindest ein wenig schade.