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Love, Fear And The Time Machine

Im Progressive-Rock-Zirkus sind die polnischen Super-Progger Riverside ein Garant für eine hervorragende neue Scheibe. Wir haben dieses Jahr schon einige potente Progressive-Rock-Platten gesehen. Spock’s Beard, Deadly Circus Fire, Leprous und Klone haben in den vergangenen Monaten allesamt beachtliche neue Alben vorgelegt. Trotzdem sticht der Nachfolger von „Shine Of New Generation Slaves“ von Riverside heraus. Vielleicht, weil die Band aus Warschau mit ihren schier unglaublichen Live-Qualitäten sowohl emotional als auch technisch in einer eigenen Liga spielt. Vielleicht weil Riverside es als einzige der aktuellen Progressive-Rock-Granden schaffen, mit einer sympathischen und eigenständigen Leichtigkeit an die von vielen schmerzlich vermissten Porcupine Tree zu erinnern. Eine Kooperation von Steven Wilson und Mariusz Duda, das wäre doch mal ein feuchter Traum für alle Progressive-Jünger da draussen. Doch von schwärmerischen Phantasien zurück zum Gegenstand des Artikels, der auf den Namen „Love, Fear and the Time Machine“ hört und auf die beiden grundlegendsten Erfahrungen des Lebens und die emotionalen Erfahrungen dieser „Reise“ anspielt.

Zehn Songs in über einer Stunde beschert das neue Opus der Polen dem Hörer, was angesichts der Vergangenheit Songs von im Schnitt „nur“ sechs Minuten bedeutet. Aber das Album macht noch mehr anders als bisher. Die Schwere der 70er-Jahre-Prog-Einflüsse ist beinahe verschwunden, statt dessen spielen Duda und seine Mitstreiter viel mit Synthie-Klängen der 80er. Der oftmals sanfte, träumerische Gesang erinnert nicht selten an die hohe, klare Stimme von Morten Harket, dem berühmten Sänger von A-ha. Oder auch an die vom skandinavischen Kollegen Einar Solberg von Leprous. Die Lieder vermitteln auf der einen Seite eine Leichtigkeit, auf der anderen Seite melancholische Gefühle. Love & Fear eben, eine sehr gelungene Synthese des Albumtitels in wundervollen Klängen. Da ist es nur eine kleine Feinheit, dass das Album mit dem (grossartigen) Titel ‚Lost‘ beginn und mit ‚Found‘ endet und so erneut die (Sinn)suche widerspiegelt. Duda hatte das explizite Ziel, helle, optimistische Momente in die Musik zu integrieren, was auf sehr unprätentiöse Weise gelungen ist. Auch wenn sich die Band dadurch in Kombination mit den leichten, getragenen Melodien noch mehr von ihren metallischen Zeiten entfernt, sind das unverkennbar Riverside. Gleichzeitig bedeutet es nicht, daß es keine harten Gitarrenriffs gibt – nur sind sie eben mehr und dezenter im melancholischen-harmonischen Gesamtkontext eingebettet.

Auf „Love, Fear and the Time Machine“ finden sich keine Ausfälle und etliche echte Prog-Perlen, die kleine aber deutliche Akzente abseits konventioneller Rock- und Popmusik setzen. ‚#Addicted‘ mit Hashtag besticht durch wohlig-leichten Groove, bei ‚Caterpillar and Barbed Wire‘ ist neben einer sehr präsenten Rhythmussektion die Stimme Dudas gleichberechtigtes Instrument neben der Gitarre, teilweise sind die samtweich-melancholischen Vocals gar präsenter. Auch hier passt der Vergleich zu Leprous, bei denen der Gesang mit dem letzten Album auch mehr in den Vordergrund gerückt ist. Die Gitarren sind ebenfalls immer da, aber nie dominant, immer hat man den Eindruck, daß alles perfekt ausbalanciert – und nicht nur gut produziert und abgemischt ist. Bei ‚Discard Your Fear‘ umschmeicheln sich Gesang, Keyboard und Gitarre so bestechend harmonisch, daß man die Augen schließt um anders genießen zu können und ‚Towards The Blue Horizon‘ ist ein acht Minuten langer Spaziergang über eine Frühlingswiese, auf der die Bäume bereits ihre Blüten verlieren. Immer klingt Wehmut mit, aber es geht auf den blauen Horizont zu, der auf Hoffnung und die Überwindung der Angst verspricht.

Das neue Album von Riverside zeigt die Band gereifter, gefühlvoller, runder und gewachsen. Schon der Vorgänger war mehr als gelungen, „Fear, Love and the Time Machine“ ist ein geschliffenes Juwel, das sich samtweich an den Hörer anschmiegt.

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