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Destrier

Ihr erst zweites Album haben die isländischen Agent Fresco nach dem besten Turnier- und Schlachtrosstypus benannt, den man sich im Mittelalter so vorstellen konnte: ‚Destrier‘. Und ‚Destrier‘ prescht so wunderbar kraftvoll und anmutig aus seinem Verschlag, dass man sich beim stillen Flehen ertappt, es möge sich nicht im Laufe der zahlreichen Tracks eine Toleranzschwelle bilden. Agent Fresco haben ein Einsehen und tun das Nötige, um es nicht so weit kommen zu lassen. Das Mittel: rund 50 Minuten geballte Emotion, durchdacht portioniert in 14 kleine Gesten großer Kunst. Kurz: ein ganz, ganz edler Gaul.

Die Stimme Arnór Dan Arnarsons, die einzige im Übrigen, die Ólafur Arnalds je an seine Musik heranließ (spätestens hier wird klar, warum), ist das Goldstück der Aufnahme und schultert neben der größten Seelischen Last – Arnarson hatte nach persönlichen Schicksalsschlägen mit Angst- und Wutattacken zu kämpfen – abermals einen Großteil des Wiedererkennungswertes dieser Ausnahmeband. Getragen meist auf einem wallenden Bett aus Gitarren, dann wieder lediglich von filigranen Klaviertröpfeleien dirigiert sie die Songs mitten ins Hörerherz. So gelingt Agent Fresco auch diesmal wieder der Spagat zwischen wuchtig wummernden Soundscapes und filigran perlenden Hochtönen, zwischen ornamentalem Abschweifen und straighten Punchs in die Magengrube. Eine Bandbreite, die sich in der überwältigenden Dynamik der Drums fortsetzt.

In anderthalb Minuten ‚Angst‘ kommt die Schönheit schließlich unter die Räder, prügelt, schreddert und schreit sich die ganze Brigade um allen angefallenen Ballast; alles andere wird gefühlvolle fünf Minuten später – man nannte diese in weiser Voraussicht ‚Death Rattle‘, das Todesrasseln – in ‚Mono No Aware‘ kontrolliert, aber prachtvoll verfeuert. Spätestens bei diesem verschleppten Ausklang wird man sich allerdings der einen oder anderen Länge gewahr. Mit einer kleinen kosmetischen Maßnahme hier und da wäre ‚Destrier‘ womöglich noch eine Spur wendiger, einen Hauch unergründlicher ausgefallen. Doch das ist Meckern auf hohem Niveau. Denn im Grunde kann dieser Ausflug in bessere, befreitere Rockmusikwelten nicht ausgedehnt genug sein.

Zu sehr dehnte sich allerdings bisweilen die Wartezeit in Anbetracht der großen Hoffnungen, die seit ihrem 2010er Debüt auf den Isländern ruhten. In der Bilanz hätte dieses aber auch eine Auszeit doppelter Länge gerechtfertigt. Von den Parallelen zu den mal mehr, mal minder großen dredg mag jeder im Zusammenhang mit dieser Band schon mal gelesen haben – abwegig wird der Vergleich dadurch allerdings nicht. Progressive Art Rock nennt sich das Ganze dann. Eine Bezeichnung, die der musikalischen Situation vor dem Hintergrund der verblüffenden stilistischen Freiheitlichkeit nicht ganz gerecht wird. Ohnehin haben Arnór Dan, Þórarinn Guðnason, Hrafnkell Örn Guðjónsson und Vignir Rafn Hilmarsson vielmehr respektvolles Schweigen verdient. Sie sind ein Fall für Kinn-, nicht für Schubladen.

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