|

KÖNIG BORIS – „Der ist einfach unsympathisch talentiert!“

Vor knapp einem Jahr haben wir Euch an dieser Stelle von der Abschiedstour von Fettes Brot berichtet. Nun legt, nur wenige Monate nach der allerletzten Show, mit König Boris ein Drittel der Band sein zweites Solo-Album „Disneyland After Dark“ vor. Wir treffen Boris wenige Wochen vorm Release zum Video-Interview, und konnten mit ihm über die Entstehung der Platte, die Entscheidungsfreiheiten und -zwänge als Solo-Künstler und das Leben in der Großstadt sprechen. Unsere Kritik zur Platte findet Ihr übrigens hier.

 

Moin Boris!

Moin!

Vor über zehn Jahren hast Du Dein erstes Soloalbum gemacht, das musikalisch weit weg von Deiner damaligen Stammband war, nun bist Du deutlich näher am Fettes-Brot-Sound. Inwieweit waren die damals -wenn auch auf Pause gestellten- Brote ausschlaggebend, sich musikalisch weiter zu distanzieren, und wie die nun nicht mehr vorhandene Band, um doch in eine ähnliche Richtung zu gehen?

Ich sage immer: Das erste Soloalbum war das Album, was ich mit 16 gemacht hätte, wenn ich damals schon in der Lage gewesen wäre, und die Fähigkeiten dazu gehabt hätte. Hatte ich aber nicht. Insofern war das ein Rückgriff auf meine damalige Leidenschaft zu Wave Pop von The Cure über Joy Division und so weiter, und auch Elektro. Das war dann absichtlich auch mit der Kostümierung (Anmerkung der Redaktion: Das Album lief unter den Namen „Der König tanzt“, dazu trug Boris bei allen Auftritten einen federgeschmückten Hut und einen an Paul Stanley erinnernden Augen-Stern/Blitz). Das war schon ein ganz anderer Kosmos. Da habe ich auch den ein oder ein anderen ein bisschen mit verschreckt, aber das ist vollkommen in Ordnung. Dieses Mal ist es ein bisschen dichter an mir als Person dran – sowohl thematisch, aber auch vom Sound. Wahrscheinlich kann man jetzt eher hören, dass ich mal in einer Band war, die Fettes Brot hieß. Ein bisschen anders ist es dann doch schon, würde ich sagen. Es ist auf jeden Fall etwas düsterer, als man das von Fettes Brot gewöhnt ist. Es war aber nicht geplant, und ich habe mir keine Mühe gegeben, extra anders zu klingen, damit man da keine Parallelen entdeckt. Es ist einfach etwas, was natürlich passiert, wenn ich alleine dasitze, und mir Gedanken drüber mache, was ich denn machen will. Genauso wie es dann auch passiert, wenn wir da zu dritt zusammenarbeiten. Das entwickelt sich im Laufe der Zeit.

Ich finde, das Album in Gänze ist jetzt kein Fettes Brot Album, aber fast jede Nummer für sich hätte als einzelner Solo-Track auf einem landen können.

Ja, vielleicht ist das so, da müsste ich mal drüber nachdenken…könnte gut sein!

„Zu Hause angekommen“ ist das Stichwort – insgesamt ist diese Scheibe sehr nachdenklich und weit weg von den oftmals lustigen Brote-Texten. Bist Du selbst eher der ernstere Typ, und auch textlich nun eher „Zu Hause angekommen“?

Das bedingt sich beides, der Humor und vielleicht eine Melancholie, die man auch als Anteil in sich hat. Humor ist dann die die Notwehr gegen die Scheißigkeit der Welt, die manchmal da ist. Ich würde mich jetzt nicht als den ernsthafteren Typen bezeichnen, im Vergleich zu den anderen beiden (Anmerkung: Björn Beton und Doc Renz). Ich glaube, ich habe beide Anteile in mir. Ich lache gerne und viel, und ich rede auch gerne Blödsinn. Aber es gibt auch so eine ernstere Seite in mir. Das Album ist so eine Art „Großstadt-Album“, und ich glaube, es passiert einfach automatisch -oder mir ist es passiert- wenn man sich so eine Großstadt anguckt. Wenn man vielleicht in die etwas weniger gut ausgeleuchteten Ecken schaut, dass da nicht nur „Friede, Freude, Eierkuchen“ herrscht, sondern dass da auch traurigere, tristere und dunklere Sachen passieren. Es ist vielleicht dann auch ein bisschen reizvoller, über sowas zu schreiben, als über Hochglanz.

Warst Du schon einmal in die Dame vom „Lieferservice“ verliebt und hast auf einem Mittwoch „Party auf dem Balkon“ gemacht, oder anders gefragt: Insgesamt zeichnen die meisten Texte durch detaillierte (vermeintlich reale) Beobachtungen anderer aus und teils wie selbst erlebtes private Geschichten. Wieviel davon ist echt, wieviel Fiktion?

Die Emotionalität, die unter den Songs drunter liegt, ist immer komplett echt und das bin ich! Die Details sind es manchmal nicht. Es sind immer Sachen, die ich auch schon erlebt habe, so oder so ähnlich, oder bei Freunden beobachtet oder anderweitig mitbekommen habe. Aber das ist kein Tagebucheintrag.

Noch einmal zurück zum ersten Album: Wie fühlt(e) es sich an, ein Solo-Album mit den erfolgreichen Broten als sicherer Hafen in der Hinterhand zu machen, und nun als „freier“ Einzelkünstler?

Mhmm….ich hab angefangen mit dem Album, als es Fettes Brot noch gab. Ich habe die ersten Songs in der Corona-Zeit geschrieben, da war es noch nicht klar, dass wir uns auflösen. Insofern kann ich das gar nicht zu 100% sagen. Das erste Solo-Album fiel mir schwerer zu schreiben. Da habe ich sehr mit mir gekämpft und gezweifelt. Das war für mich ganz gut und für dieses Album, weil ich wusste, was ich auf jeden Fall will: Spaß an dem Schaffensprozess zu haben, den schon zu genießen, und das ist mir glücklicherweise bei diesem Album gelungen. Es hat mir Freude bereitet, das zu machen, und es war weniger Kampf. Es kam alles ein bisschen leichtfüßiger zu mir.

Was ist einfacher: Alleine für ein Album verantwortlich zu sein, mit der Folge, alles „frei Schnauze“ entscheiden zu können – aber auch zu müssen, oder sich immer der Diskussion einer Band zu stellen, sich dabei aber im Zweifel auch gegenseitig befruchten zu können?

Das Geile, wenn man alleine ist, man kann alles alleine entscheiden. Das Schlechte daran ist, man muss alles alleine entscheiden. Es ist halt ein zweischneidiges Schwert! Wenn man selber keine Idee hat, ist da dann keiner, der sagt: „Ja, ich hab diese Idee, wie findet Du das?“

Auf der anderen Seite muss man auch keine Kompromisse schließen oder Ideen verkaufen, sondern man entscheidet selber.

Im Presse-Text steht, dass insbesondere Corona Dich entscheidend beeinflusst hat, „Disneyland“ zu machen. Hätte es das Album ohne Corona und die dadurch mehrfach verschobene und dann letztlich abgesagte Sommer-Tour von Fettes Brot gegeben?

Wir hatten ja das große Glück, dass wir Ende 2019 tatsächlich eine Tour abgeschlossen hatten, im Gegensatz zu vielen anderen, die es deutlich härter getroffen hat. Ich weiß nicht, ob es das Album dann auch gegeben hätte, das kann ich gar nicht so beurteilen. Es war für mich so -wie für viele von uns- dass ich irgendwann so ziellos durch die menschenleere Stadt gestreift bin, weil man nichts anderes zu tun hatte. Die Abwesenheit der Menschen hat mir interessanterweise noch mal viel deutlicher vor Augen geführt, was sonst los ist in der Stadt und was an den Orten, an denen ich viel oder auch mal seltener bin, sonst so passiert. Das war der Funke, über die Stadt schreiben zu wollen, weil ich noch einmal einen anderen Blick auf das Ganze bekommen habe. Es war so eine merkwürdige Situation, die man noch so nicht kannte. Ich erinnere mich an Morgen, da bin ich durch die Stadt gegangen, und es war einfach menschenleer – es waren nichts mal Autos da! Das hat was mit mir gemacht. Als ich dann den Faden in der Hand hatte, Geschichten über die Stadt zu erzählen, und immer weiter daran zog, wurde der immer länger. Es kamen immer mehr Geschichten zum Vorschein, bei denen ich mir vorstellen konnte, da einmal drüber zu schreiben.

Dann hake ich bei der Stadt mal ein: „Nordisch bei Nature“ war eine Hymne an den Norden, und teilweise auch an Hamburg, nun folgt mit „Beste“ (und auch in vielen anderen Stellen immer mal wieder) eine ziemlich kritische Bewertung der Stadt. Ist es eine Hassliebe, die Dich mit HH verbindet?

Bei „Beste“ ist ja der Clou an der Geschichte, dass ich über die Stadt erzähle, und dass das „Beste“ an der Stadt dann die Leute sind. Die Menschen, mit denen ich die Sachen erlebe; und ich glaube, da ist viel Wahres dran. Man verbindet Orte und Erinnerungen, und man teilt sich das Leben in der Stadt mit Menschen, die einem am Herzen liegen. Das macht es dann am Ende aus. Ich bin dieser Stadt sehr verbunden, speziell der Leute wegen, und weil es tolle Ecken und Schönes zu erleben und zu entdecken gibt. Ich sehe aber auch, was falsch läuft. Ich sehe, was mir nicht gefällt. Bei „Unten an der Ecke“ singe ich „Hier ist es schön und scheiße gleichzeitig“ – ich brauche keinen idealisierten Ort, um zu sagen: „Das ist mein Zuhause!“, sondern es funktioniert auch in seiner Widersprüchlichkeit. Vielleicht kann man das als Metapher auf das ganze Leben betrachten. Ich glaube, das kennt jeder, wenn man in einer größeren Stadt lebt, dass da das Schöne und das weniger Schöne oft sehr dicht beieinanderliegen.

„Disneyland“ wurde mit Arne Diedrichson erarbeitet, der Dich schon auf „The Grosser“ begleitet hat. Wie lange war der Entstehungsprozess der Scheibe, und wie war die Aufgabenteilung bei Euch beiden?

Mit ihm habe ich schon mein erstes Solo-Album produziert. Arne ist Multiinstrumentalist, Producer, Mixer – der ist einfach unsympathisch talentiert! Wir verstehen uns sehr gut. Wenn wir über Musik reden, müssen wir nicht viel erklären – wir haben da eine Sprache, wo der eine immer genau weiß, was der andere von ihm will. Er hat die ganze Musik gemacht. Wir schicken uns Skizzen hin und her, ich sag dann „So und so“, und er versucht das dann umzusetzen – und er macht das großartig!

Wir waren -teils in Berlin, teils in Hamburg- zusammen im Studio. Wir haben auch viel am Computer gemacht. In der Corona-Zeit war es ja schwierig mit dem Reisen. 

Ab wann durften Deine beiden ehemaligen Mitstreiter das erste Mal reinhören?

Der eine wollte sich überraschen lassen, mit dem anderen habe ich es partout nicht geschafft, einen Termin fürs Vorspielen zu finden. Insofern kennen sie nur das, was alle bisher kennen.

Heinz Strunk ist auf „Elefantenhaus“ zu hören, wie kam es zur Zusammenarbeit speziell bei dieser Nummer, und wer ist die Stimme auf „Stadtratte“, die den Refrain singt?

Heinz Strunk ist ein langer Freund von mir, und war mal mit uns auf Tour. Anfang der 2000er hat er das Vorprogramm gemacht. Seine Geschichte kennen wir ja alle – er ist ein sehr erfolgreicher Schriftsteller und toller Komiker, und mir gefiel die Idee, in diesem absurden Stück „Elefantenhaus“, dass Heinz den Chorus spricht. Glücklicherweise hat er „Ja“ gesagt!

Den Chorus aus „Stadtratte“ singt Patrick Siegfried Zimmer. Der macht auch Musik, macht tolles Zeugs und ist ein Freund von mir. Ich habe ihn gefragt, er kam ins Studio und hat gesungen, und ich wusste sofort: „Alles klar, das passt perfekt!“.

Dadurch ist es ein sehr toller Song geworden.

Gab’s noch mit anderen Kollegen und Kolleginnen Zusammenarbeiten?

Meine liebe Freundin Anne (Anmerkung: N-JOY Moderatorin Anne Raddatz), mit der wir die Radiosendung „Was wollen wissen“ gemacht haben, ist die weibliche Stimme bei „Auf dem Balkon“. Cäptn Clepto -Hamburg-Prominenz- ist der „Unten an der Ecke“–Mann. Das war’s dann aber mit Gästen.

Im Titeltrack „Disneyland After Dark“ zeigst du viele schizophrene Verhaltensweisen auf (Bsp. „Der vegane Koch isst zu Hause Steak“), gleichzeitig singst Du von Marvin Gaye, Rio Reiser und Fleetwood Mac, wo man bei Dir eher RUN DMC als Referenz erwarten würde. Welche widersprüchlichen Dinge sind bei Dir typisch?

(Lacht) Sehr viele! Ich weiß nicht, wie viele ich davon an die Öffentlichkeit bringen möchte! Darum geht es ja auch, dass man seine Geheimnisse lieber für sich behalten möchte. Aber klar, ich bin auch ein sehr widersprüchlicher Mensch, wie wahrscheinlich die meisten von uns. So richtig dunkle Geheimnisse habe ich nicht, bei denen ich Angst hätte, dass das irgendjemand rausfindet – glücklicherweise. Ich finde es immer faszinierend, wenn man durch die Stadt geht oder mit der S-Bahn fährt, und dann in die ganzen einzelnen Fenster guckt, und denkt: Hinter jedem dieser Fenster ist ein Leben, das gelebt wird, wo Dinge passieren, und Geheimnisse stattfinden, die vielleicht jemand gerne für sich behalten würde. Das war für mich immer schon ein faszinierender Gedanke, und dann habe ich gedacht: Ok, warum schreibst du nicht mal einen Song drüber?

Du sagst, Du fährst mit der Bahn durch die Stadt. Deine Band ist jetzt so ein knappes dreiviertel Jahr beendet, davor gab es auch immer Phasen, wo Ihr Euch zurückgezogen habt. Kannst Du beschreiben, wie vergänglich Ruhm ist, und wie schnell man nicht mehr erkannt wird?

Ich kann das nur aus meiner Perspektive sagen, aber ich glaube, dafür haben wir es einfach zu lange gemacht, als das es jetzt von einem Tag auf den anderen verschwinden würde. Ich werde immer noch sehr häufig von Menschen angesprochen, ob ich mal ein Foto machen kann, oder sie erzählen mir irgendeine Geschichte, zu welchen unserer Songs sie geheiratet haben. Alles meistens sehr nett, in Verkehrsmitteln lustigerweise am seltensten. Ich weiß nicht, warum. Wahrscheinlich denkt jeder, dass jemand, der prominent ist, nicht Bus fährt.  

In meiner Empfindung war damals der entscheidende Move bei Fettes Brot, dass Ihr irgendwann weg von reiner DJ-Begleitung zur vollen Band angewachsen seid. Nun hast Du zunächst drei kleine Shows zum Release angekündigt. 1. Sind weitere Shows geplant? 2. Auf was für eine musikalischen Darbietung können sich Deine Gäste freuen?

Anlässlich des Releases wird es drei Shows geben, in Köln, Berlin und Hamburg. Ich werde mit drei weiteren Musikern auf der Bühne sein, ein Bass, ein Keyboard und DJ Excel Pauly (Anmerkung: Langjähriger DJ bei Fettes Brot und Mitglied bei Deine Freunde) an den Maschinen. Zu viert wird es dann relativ knallen! Wir sind gerade am Proben, und es macht auf jeden Fall Spaß. Im Sommer wird es vielleicht noch zwei, drei Shows geben, und dann könnte ich mir vorstellen, im Herbst auf Tour zu gehen. Da sind wir jetzt gerade am planen dran, ob das dieses Jahr noch stattfindet oder später, wie die Rahmenbedingungen sind – das stellt sich noch raus.

Bei der ersten Solo-Tour hast Du ein reines Solo-Programm gespielt. Wird es das jetzt auch geben, oder gibt es auch die ein oder andere Brote-Nummer im Programm?

Es ist ja so, dass ich jetzt glücklicherweise zwei Solo-Alben zur Verfügung habe, und jede Menge Solo-Stücke bei Fettes Brot geschrieben habe. Es wird also durchaus von allen Anteilen irgendwas auftauchen.

Keine Ü-40 Party dürfte heute ohne „Jein“ oder „Nordisch“ auskommen, und so ziemlich jede*r dürfte den Text draufhaben. Bist Du Dir/seid Ihr Euch eigentlich bewusst, welche absoluten Kult-Hits Ihr in den knapp 30 Jahren geschaffen habt?

Währenddessen häufig nicht, aber klar, wir sind ja nicht doof. Jetzt, im Nachhinein und nach all den Jahren, merken wir natürlich schon, dass bestimmte Songs einfach nicht weggehen, die zum Kulturgut dazugehören. Das ist natürlich etwas sehr Tolles. Das wird ja nicht jedem Musiker zuteil, dass er Songs schreibt, die Generationen überdauern – da freue ich mich sehr drüber! Es war auch bei der Abschiedstour noch mal sehr stark zu spüren, was für Zuspruch kam, und was die Leute uns für Geschichten über sich und ihre Verbindung mit unserer Musik erzählt haben. Das war wirklich sehr rührend teilweise!

Lieber Boris, ich danke für das Gespräch, wünsche großen Erfolg beim Release und vielleicht sehen wir bei einem der hoffentlich noch kommenden Konzerte!

Ich danke und Tschüss!

 

 

König Boris SHOP 

König Boris bei Facebook

König Boris bei Instagram

Link zur Abschiedsplatte von Fettes Brot

 

Fotocredit: Katja Ruge (König Boris), Wollo@Whiskey-Soda (Fettes Brot)

Ähnliche Beiträge