JAN PLEWKA & DIE SCHWARZ-ROTE HEILSARMEE – Wann, wenn nicht jetzt
Rio Reiser ist seit mehr als 25 Jahren tot, lebt aber schon etwa 15 Jahren in zwei Programmen von Jan Plewka (Selig) und seiner Schwarz-Roten Heilsarmee weiter. Nach mehr als 250 Aufführungen ihres inszenierten Rio-Reiser-Abends, gab es 2019 die Premiere zu einem weiteren Programm mit Liedern des ehemaligen Ton-Steine-Scherben-Frontmannes unter dem Motto „Wann, wenn nicht jetzt“. Allerdings konnte es seit dem keine zehnmal zur Aufführung gebracht werden, wie Jan und Gitarrist Marco Schmedtje uns im Interview vor wenigen Wochen verraten haben. Doch jetzt sind sie endlich wieder unterwegs, und bespielen (nach sechsmaliger Verlegung) endlich den Ringlokschuppen in Mülheim.
Um Punkt 20.00 Uhr geht das Licht aus, und Plewka schleicht als Ausgrabungsforscher verkleidet mit Taschenlampe durch die Reihen des Publikums, und murmelt leise vor sich hin, während die Musiker als Waldschrate mit langen Haar- und Bartperücken verkleidet im Hintergrund die ersten Töne spielen. Auf der Bühne angekommen beginnt das Konzert mit dem Satz „Alles, was ich fand, waren Ton, Steine und Scherben“, und in dieser Sekunde setzt eine kraftvolle Version von „Menschenfresser“ ein. Die Band ist sofort da, der Sound ist klar und laut (zumindest jetzt, aber dazu später mehr). Die Musiker verstehen ihr Handwerk, insbesondere Multi-Könner Lieven Brunckhorst brilliert an gefühlt einem Dutzend Instrumenten. Es gibt spannende Versionen der einzelnen Titel, am imposantesten -weil total reduziert- ist dabei wohl „Ich werde dich lieben“, dass Jan und Marco komplett unverstärkt nur mit Klampfe und Gesang am Bühnenrand spielen.
Laut, krawallig und roh ist dagegen „Macht kaputt, was Euch kaputt macht“, das ein textliches Update erfährt, und durch Begriffe wie „AFD“ und „Tierversuche“ ergänzt wird. Immer wieder wechselt der Sänger seine Kostüme, ob mit Weste, im schlichten T-Shirt oder im Abendkleid mit tiefem Ausschnitt (!), er interpretiert die Tracks auf sehr ansprechende Weise, anstatt sie nur nachzuspielen.
Nach einem wilden „Wann“ ist (wie im „richtigen“ Theater) eine kurze Pause. Aus dieser kommen die Herren in hautengen Latex-Glitzer-Anzügen und mit riesigen Zyklopen-Augen zurück, und singen zur großen Belustigung der Gäste „Mein Name ist Mensch“ a cappella. Wer kennt es nicht: „Sieben Uhr aufstehen, Kaffee trinken, zur Arbeit fahren, freundlich sein, den Chef grüßen“, um sich dann zu fragen „Warum geht es mir so dreckig?“. Reiser konnte neben wunderschöner Lyric eben auch Krawall und die einfache Sprache musikalisch zum Klingen bringen, der Heilsarmee gelingt es, aus den Vorlagen ihre ganz eigenen Versionen zu entwickeln. Beim „Shit Hit“ hat Plewka Pause, und der Rest der Combo kommt mit Altersmasken, die sie mit 80 Jahren darstellen, mittig ins Publikum und singt unter großem Gelächter im Chor ein Loblied auf die Droge Haschisch („das nasch isch“).
Beim finalen „Wir müssen hier raus“ versagen sämtliche Mikrofone, und die Herren spielen in Zimmerlautstärke, während der Sänger seinen Part unplugged in den Saal singt, zum Ende der Nummer will dann auch die Technik wieder, und es wird doch noch einmal laut.
Bei der ersten Zugabe „Mein Name ist Mensch“ (nun in voller Truppen-Stärke) fällt erneut das Mikro aus, und lässt Jan resignierend im Anschluss das Podium verlassen. Doch da der Applaus nicht weniger werden will, kommt das Quintett noch einmal zurück, und bietet, komplett ohne jegliche Technik am Bühnenrand sitzend, noch ungeplant den „Rauch Haus Song“ (aus dem ersten Rio-Abend), und dann sagen beim „Junimond“ wirklich alle „bye bye“.
Auch wenn Rio Reiser leider seine Hits nicht mehr selbst darbieten kann, bleiben sie doch in diesem Programm lebendig, und haben nichts von ihrer Aktualität und der Dringlichkeit verloren. Wer kann, sollte sich diese Aufführung nicht entgehen lassen.
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Fotocredit: Wollo@Whiskey-Soda