Haydenspark

Die Finnen Overhead sollen auf früheren Alben noch relativ konventionellen Retroprog gespielt haben – es fällt mir allerdings anhand des neuen Albums „Haydenspark“ recht schwer, das zu glauben. Denn 2018 stehen Overhead für eine höchst eigenständige und originelle Mixtur, bei der konventionelle Prog-Elemente nur maximal ein Drittel des Ganzen ausmachen. Der Rest setzt sich aus modernen Rock-Elementen und einem extravaganten Pop-Verständnis zusammen, was in der Kombination ein wahrhaft unwiderstehliches Gebräu ergibt.

Dass das Album trotzdem klar im Prog-Bereich zu verorten ist, zeigt sich hauptsächlich in den abwechslungsreichen, verspielten Kompositionen und den Synthie- und Flötenpassagen, mit denen „Haydenspark“ gespickt ist. Dazu kommt eine sehr abwechslungsreiche Gitarrenarbeit, die in den Solopassagen immer wieder an Steve Vai (!) erinnert, aber auch bei Bedarf U2-mäßige Schwebesounds und Stoner-Rock-Wände liefert – meist im gleichen Song, siehe ‚Last Generation‘. Die typischen Progmetal-Klischeeriffs werden dabei allesamt vermieden, hier klingt nichts auch nur für einen Moment nach Dream Theater oder Tool. Dafür ist aber nicht nur Gitarrist Jaako Kettunen verantwortlich, sondern auch Alex Keskitalos exzellente und vielseitige Vocals, die nicht selten an Scott Weiland (Stone Temple Pilots) oder eine weniger campige Version von Waltaris Kärtsy erinnern.

Wer sich übrigens eine proggige Version von Herrn Weilands eklektischen Soloausflügen vorstellen kann, liegt schon mal gar nicht so weit von „Haydenspark“ entfernt. Denn auch Overhead packen stilistisch alles in die Waagschale, was ihnen zwischen die Finger kommt. ‚Count Your Blessing‘ ist ein radiotauglicher Alternative-Rock-Song mit Killerhookline und lateinamerikanisch inspiriertem Akustikgitarrensolo, ‚King Of The World‘ verbindet poppige Smashing Pumpkins mit einem lockeren Toto-Groove, und ‚Death By Tribulation‘ kommt mit Black Sabbath-Riff, Querflötensolo – und trotzdem purem Grunge-Feeling. All das fügt sich derart locker-flockig und ungezwungen zusammen, dass man sich unweigerlich fragt, warum noch niemand vorher auf die Idee gekommen ist.

Mit dem Titelsong und ‚Gone Too Far‘ gibt’s auch noch zwei Longtracks. Während ‚Haydenspark‘ ganz schamlos Neoprog und IQ-Flair in den Bandsound importiert, gibt es mit dem Rausschmeißer ‚Gone Too Far‘ noch einen Achtziger- und Synthpop-inspirierten, konsequenterweise auch vom traditionell pulsierenden Sequencer getragenen Song, der direkt von Devo-Boss Mark Mothersbaughs Soundtrack zu „Thor:Ragnarok“ stammen könnte – wenn es dort Bratgitarren, atmosphärische Querflöten und hochmelodische Killerrefrains gegeben hätte. Gab’s aber nicht, also 4:1 für Overhead.

Gerade jetzt, wo im Progbereich immer mehr Bands dazu tendieren, stilistisch auf einen erfolgreichen Zug aufzuspringen oder ausschließlich die Vergangenheit zu glorifizieren, sind Bands wie Overhead besonders wichtig. Denn sie zeigen, dass im progressiven Musikgeschehen immer noch eine ganze Menge Originelles möglich ist, wenn man sich nur traut – und die songschreiberischen Fähigkeiten hat, das Ganze auch umzusetzen. Wie vor zwei Jahren Pervy Perkin und im letzten Jahr Schooltree geben mir 2018 Overhead das Vertrauen in meine Lieblingsmucke zurück: da geht definitiv noch was, der Underground liefert auch, wenn’s der Mainstream nicht mehr schafft!

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