Manifesto Of An Alchemist
Roine Stolt ist in der Progszene schon seit vielen Jahren so präsent wie kaum einer seiner Kollegen – Mike Portnoy vielleicht einmal ausgenommen. Man kann sich darauf verlassen, dass mindestens einmal im Jahr ein neues Album des Kaipa-Mitbegründers erscheint, ob als Bandmitglied, Solo- oder Projektalbum. Genauso kann man sich darauf verlassen, dass die Qualität auch immer stimmt, mit nur gelegentlichen kleinen Ausreißern nach oben und unten.
Sein neustes Werk läuft nun unter dem Namen Roine Stolt’s The Flower King. Nur einer, keine Flower Kings. Das liegt daran, dass zurzeit Stolts Langzeit-Keyboarder Tomas Bodin diesmal nicht mit von der Partie ist. Für die anstehenden Tourdates hat man aber dann doch das „S“ wieder angehängt, aber nur ein kleines… hm. Was immer nun die rechtliche Namenssituation sein mag, auch als Quasi-Soloprojekt und ohne Bodin kann man „Manifest Of An Alchemist“ ziemlich deutlich allen Fans der Flower Kings nahelegen. „What a sweet Reunion“, singt er in ‚Ze Pawns‘, und ja, ein paar Ex-Flokis hat er sich für das Album auch eingeladen. Jonas Reingold spielt erwartungsgemäß und unverkennbar den Bass, auch Sänger Hasse Froberg hat einige Vocals beigesteuert. Die Hauptstimme gehört aber diesmal Roine selbst, was in gewisser Weise den Kreis zu seinem 1994er Album „The Flower King“ schließt, welches seinerzeit die Gründung der Band The Flower Kings zur Folge hatte. Aber, genug von der Geschichtsstunde, zur Musik. Die klingt genau so, wie man das von Roine erwartet: symphonischer Retroprog mit ausladenden Arrangements, großen Refrains und jazzigen Soli, ziemlich genau zwischen den späteren Flower Kings und den frühen, mit ihm eingespielten Alben von The Tangent angesiedelt. Im Vergleich zu den eher abenteuerlustigen letzten Alben der besagten The Tangent klingt „Manifesto Of An Alchemist“ aber ein wenig, nun ja, konventionell und wenig spritzig. Natürlich, Roine kann einfach keine so richtig miesen Songs schreiben, doch gelegentlich fragt man sich ähnlich wie beim Kollegen Neal Morse, ob man den Song nicht schon vorher irgendwo gehört hat. Wenn man sich daran nicht stört, bekommt man auch hier wieder klassisches Progfutter der oberen Güteklasse, und Stolts wunderbare Gitarren könnte ich mir eh stundenlang anhören. Interessanterweise aber sind es diesmal speziell die etwas kürzeren Songs, die herausstechen. ‚Baby Angels‘ ist beispielsweise eine durchaus Kinderlied-ähnliche Akustiknummer mit frühem Moody Blues-Flair, die vielen Hardcore-Proggern vermutlich so richtig auf die Nüsse gehen dürfte (recht so!), und ‚Next To A Hurricane‘ ist der typische Beatles-Popsong, wie er auf jedem FloKis-Album enthalten war. Das zwölfminütige ‚High Road‘ hingegen hat ein paar Längen, ebenso der Abschlusstrack ‚The Spell Of Money‘ mit Anleihen bei Roger Waters oder eben The Tangents Andy Tillison.
Wie schon das Debütalbum von The Sea Within lebt „Manifest Of An Alchemist“ von der Tatsache, das der Maestro sich zehn coole Progsongs einfach jederzeit nur so aus dem Ärmel schütteln kann. Vielleicht wäre es für Roine aber einfach einmal Zeit, sich ein paar Monate Auszeit zu gönnen und danach mit frischer Energie ein Album so richtig generalstabsmäßig auf Perfektion zu bürsten, vielleicht auch einmal aus seiner Komfortzone herauszukommen. Andererseits: seine Fans werden nach wie vor exzellent und regelmäßig bedient, also ist das eventuell sogar die absolut richtige Strategie. Und besagte Fans, das sei hier wiederholt, bekommen auch hiermit 70 Minuten lang routiniertes und vertraut klingendes Prog-Handwerk. Ein bisschen wie mit dem Lieblings-Italiener: man experimentiert gerne mal mit dem Marokkaner oder dem neuen Vietnamesen im Nachbarort, aber die Pasta, die man über die Jahre liebgewonnen hat, schmeckt auch immer noch ganz großartig.