Boundless
Es ist ja immer so eine Sache mit dem Beschreiten neuer Wege oder der Änderung im Konzept einer Band. So haben Long Distance Calling als reine Instrumentalband angefangen und erfolgreich die düster-progressiven Fahrwasser des Post-Rocks mit einigen Metal-Einflüssen ausgelotet. Soweit, so gut. Richtig erfolgreich mit Platzierungen in den Charts wurde es dann aber mit den Alben „The Flood Inside“ und „Trips“, als in großem Stil Gesangsparts dazu kamen. Jetzt setzen die Münsteraner dort jedoch nicht direkt an, sondern kehren zu ihren Wurzeln zurück. Es wird sich zeigen, wie das neue Werk „Boundless“ im Vergleich zu den beiden Vorgängern finanziell abschneiden wird.
Qualitativ muss man sich jedenfalls keine Sorgen machen, denn die neue Scheibe weiß zu beeindrucken. Bodenständig, kernig-erdig und direkt kommt „Boundless“ daher, mit im Gegensatz zu Trips wieder deutlich reduzierten Synthie-Parts, dafür mit Fokus auf knackige Rockriffs und mit deutlichen Prog-Tendenzen beschreitet das neue Werk tatsächlich einen Weg zurück zu den Wurzeln und wird damit vor allen den Fans der ersten Stunden gefallen. Dabei hat ein Song wie ‚Ascending‘ auch schon mal ein ungewöhnlich schnelles Intro, später wird es dann wieder bandtypisch ruhiger, schwelgerischer und in einem gleitenden, organischen Fluss. Treibend und energiegeladen geht es ‚In The Clouds‘, wobei die Whammy-Gitarre immer wieder spannende Akzente setzt. Wer braucht da schon Gesang? Insgesamt ist das neue Werk treibender und über weite Strecken auch härter ausgefallen als der Vorgänger, die kernigen Gitarrenriffs sorgen immer wieder für druckvolle Power. Sehr schön.
Besonders eindrucksvoll ist der Track ‚Like A River‘, der mit einem Windgeräusch im Intro, seinem stylisch-groovigem Gitarrenpicking und später sogar einer Violine (!) im Kopf Bilder alter Spaghettiwestern entstehen lässt und fast schon in die Alternative-Country-Ecke gehört. Aber eben nur fast, denn irgendwie kann man Long Distance Calling bei jeder Note klar heraushören, und damit bleiben sich die Münsteraner auch diesmal als Band treu, die wie kaum eine andere aus der Masse heraussticht.
Man vermisst den Gesang hier zu keiner Stelle, sind die Songs doch auch ohne Vocals spannend und griffig, laden zum wiederholten Hören ein und bieten immer wieder genug Raum für neue Entdeckungen. Long Distance Calling zeigen sich äußerst experimentierfreudig und ziehen ihr Ding klar und entschlossen durch. Wir würden es den Jungs wünschen, dass auch „Boundless“ in den Charts landet, denn dieses Experiment, diese Rückbesinnung, hat sich absolut gelohnt, und das Ergebnis sollte gewürdigt werden. Es ist doch definitiv das bisher packendste Genrealbum des jungen Jahres. Das muss Ende Januar noch nicht viel heißen, aber wir sind uns sicher, dass „Boundless“ diese Position auch in ein paar Monaten noch locker behaupten kann.