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MTV Unplugged: Unter Dampf – Ohne Strom

Während die Jauchs und Raabs dieser Welt vergleichsweise zügig ihre Studios räumen, drehen seine Unheiligkeit weiter fleißig Ehrenrunden. Mehr als ein Jahr zieht sich der Auszug des Grafen aus dem dicken Wanst des Showgeschäfts schon hin, und bis zum großen und sicherlich zugabenreichen Abschiedskonzert im Kölner RheinEnergie-Stadion direkt vor der Haustür des Rezensenten stehen noch weitere lange und lukrative Monate bevor. Politikern würde man nachsagen, sie klebten an ihrem Stuhl. Nun hat der Graf a) (noch) keine politische Erfahrung und b) für sich die stehende Pose gewählt, weil dann die ausgebreiteten Arme besser wirken. Wie dem auch sei: Das Akustik-Album ‚Unter Dampf – Ohne Strom‘ markiert zumindest schon mal das diskografische Ende – vorbehaltlich weiterer unliebsamer Überraschungen, versteht sich – und den kreativen Exitus konsequenterweise gleich mit.

Der Graf steht unter Dampf, ist im Begriff, sein zum Großunternehmen aufgeblähtes Projekt bis zum letzten Tröpfchen zu liquidieren. Und was eignet sich da besser als ein Schulterschluss mit dem prestigeträchtigen MTV-Unplugged-Format? Auch die Terminierung des neuen (und angeblich wirklich) letzten Unheilig-Releases in der Vorweihnachtszeit wird sich zweifellos bezahlt machen. Beflügelt vom großen Orchester in seinem Rücken, Rängen voller argloser, rechtschaffener Musiker, setzt der Graf alles frei, was an Pathos in ihm steckt, schmettert ungelenke Durchhalteparolen und schwadroniert von der „Zartheit deines Seins“, bedröppelten Schneemännern und all den anderen Undingen, die in den vergangenen Jahren unter der kahlen Schädeldecke vor sich hin modern konnten. Ohne Strom liegen des Grafen plumpe Parabeln nicht nur in all ihrer witzlosen, ungenierten Eindimensionalität frei, sondern werden ersatzweise auch noch mit schulmusikalischen Kniffen garniert, die den Aufwand nicht wert sind – geschweige denn, dass sie auch nur annähernd Tiefgang vortäuschen könnten. Selten klaffen jenseits der FKK-Strände Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinander.

Apropos FKK: Die Besprechung dieses Albums war von vornherein als Katastrophentourismus vorgesehen; die Erwartungshaltung entsprechend präpariert. Dass allerdings die Umstöpselei eine derart verheerende Wirkung zeigen würde, war nicht abzusehen. Und dass neben ein paar irrgeleiteten Co-Klabautermännern auch Helene Fischer dem Grafen auf der Bühne beispringen würde, um die Gala der Grenzwertigkeiten volksgerecht abzurunden, hätte ebenfalls ruhig Gedankenspiel der Zyniker bleiben dürfen. Doch nein, es kommt, was kommen musste, der Albtraum wird real, aus Mainstream wird Painstream: Aachener Pfandadel feat. unsere Helene. Ein bunter Jahrmarkt der Anbiederungen. „Es ist so schön mit dir, wirklich“, sagt sie. „Dankeschön!“, fühlt er sich geschmeichelt. „Wie nett!“ quittiert sie den Beifall des Publikums; sie kennt diesen ganzen Mist aus dem Fernsehen. Dialoge, die betroffen machen. Synergien, die Sünde sind. Ein Herz für Kinder, Fernsehpreis und -garten, abrakadabra – der Haufen ist platziert, die Kacke am dampfen und der ganze Rest schnuppe. Mit ‚Für mich soll’s rote Rosen regnen‘ besudelt der Graf zum Abschluss das Andenken der Knef und hört sich dabei auch noch verboten patent an, sollte denn zu diesem Zeitpunkt – bis hierher muss man es erst einmal schaffen ..! – den eigenen Sinneseindrücken noch zu trauen sein.

Wie man es auch dreht: Die faktische Auflösung gewinnt rapide an Dringlichkeit. Dann würde alles gut! Solange sich der Graf nicht mit dem Howard-Carpendale-Syndrom infiziert. Denn am Ende gäbe es sicherlich weitaus Verwunderlicheres als ein Comeback. Wer so ausgiebig die Segel streicht, wird der süßen Theatralik einer Wiedergeburt sicher nur schwer widerstehen können. Wetten? Oder der Graf ergattert eine der begehrten Tatortkommissar-Rollen und unterschreibt einen hochdotierten Expertenvertrag in Sachen Schlager, Charity und Wintersport beim ZDF. Mit Option auf eigene Kochsendung, gegebenenfalls an der Seite von Johann Lafer. Aber natürlich erst, nachdem er das Wave Gotik Treffen aus seiner bedauernswerten Nische befreit hat.

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