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Another Half Life

Nein, ‚Another Half Life‘ ist nicht another half Album, sondern nach ausführlichen Dehnübungen die erste Full Length-Veröffentlichung Tobias Sieberts, dessen Band seit zwei EPs unter dem Künstlernamen And The Golden Choir firmiert. Und keine weiteren Mitglieder zählt, sieht man einmal ab von einem prallen Koffer voller Schallplatten.

Auf den Schallplatten ist auch Tobias Siebert. Überall, dort und hier, immer und immer wieder. Irgendjemand musste schließlich die Instrumente spielen, die seine zerbrechlichen, hochtönigen Klagegesänge unterfüttern. Hackbrett, Harfe, Harmonium, Hach. Die vier großen Hs dieser Langspielplatte, die betört, wo sie nur kann. Mit knusprig-organischer Akustik-Instrumentierung, prisenweise fremder Klänge und erdiger Percussion. Dazu Reverb mitten aus dem Leben, alles analog und ohne doppelten (Resonanz-)Boden, dafür aber mit einem schelmischen Trick, der erst auffliegt, wenn man And The Golden Choir live erlebt: Tobias Siebert hat sich vervielfacht (‚The Transformation‘!), hat ein Rudel von kratzigen Artefakten seiner selbst auf sieben Schallplatten pressen lassen, die ihm beim Musizieren in stoischer Drehung die Treue halten.

Unbearbeitet, aber kaum wirklich roh klingt das Dutzend Kompositionen auf ‚Another Half Life‘, dazu harmoniert das Ein-Mann-Ensemble zu eindrucksvoll. Die Wehmut ist hochdosiert, das Organ Sieberts kratzt an der Grenze zum Bruch. Es sind traurige Lieder, die nie anders, nie weniger weinerlich gedacht waren, aber doch mit Kitsch und selbstbezweckter Wehleidigkeit nicht viel zu tun haben. Und es geht um Liebe. Liebe in ihren tückischsten Ausführungen.

Gut die Hälfte der Stücke ist bereits von den zwei Vorab-EPs bekannt, und so kommt es kaum von ungefähr, dass ‚Another Half Life‘ die Coverabbildung seines Vorgängers wiederholt, ergänzt um einen golden schimmernden Rahmen und entsprechende Prägung des Titels. Eine Aufwertung, die auch inhaltlich durchschlägt, sind die ergänzten Stücke doch alles andere als kleinlaute B-Seiten. Vom vergleichsweise beschwingt aufgelegten ‚Choose To Lose‘ über das gespenstisch geschichtete A-Cappella-Intro bishin zum abgezockten Songwriter-Filetstück ‚Dead End Street‘ (

‚I am the devilish shark in search of your sweet heart / You are the gun, keep shooting, shine into my darkness‘

) kehren beachtliche Qualität und hohe Unterscheidungskraft ein, die Tobias Sieberts Alleingang jegliche Berechtigung zusprechen.

Das stimmungsvoll bebende, sich zum Ende hin fulminant verdichtende ‚Angelina‘ bleibt aber auch hier unangefochtenes Juwel. Ein Song wie der Fluss, von dem er handelt. Oder geht es hier doch um eine Frau?

‚Everytime I stop at your banks / you lead me with your shining eyes‘

, gesteht der Tobi seiner Angelina ein. Und vergisst sich am Ende in einem reißenden Strom erzitternder Melodik.

‚Pull me in! Pull me in! Pull me in!‘

, fleht er und plötzlich ist man es auch: völlig mitgerissen. Eine undankbare Position für ‚In Heaven‘, so als letzter Song noch hinter Angelina. Doch tut er genau, was er soll: es schon schaukeln, und den frisch gestrandeten Hörer mit zarten Klängen gar nicht einmal so klaren Ursprungs umsorgen. Eine halbe Minute Stille reißt das Album noch an sich, bevor es ausgelaufen ist. Zeit, seine Eindrücke zu sortieren? In jedem Fall für ehrfürchtiges Durchatmen. Den Rest lassen wir so.

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