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Dystopia

Auch 2015 war der je nach Meinung nostalgisch verklärte, leicht angestaubte oder sogar für irrelevant erklärte Thrash-Metal nicht totzukriegen. Slayer machten das was sie können und schafften es damit auf Platz 1 der deutschen Albumcharts. Annihilator haben nach einem Besetzungswechsel ein leider recht belangloses Album herausgebracht – immerhin ist Jeff Waters immer noch an Bord des Thrash-Dampfers. Death Angel veröffentlichten eine spannende Band-Dokumentation inklusive Live-Album und alte Bekannte aus der zweiten und dritten Reihe wie die Spanier Angelus Apatrida brachten ebenfalls schön hartes neues Material. Das neue Jahr beginnt schon in den ersten Wochen wie das letzte endete. Mit Thrash, namentlich einem Doppel-Album von Anthrax, noch vorher erscheint mit „Dystopia“ allerdings das fünfzehnte Studio-Album von Megadeth.

Der Druck muss riesig gewesen sein bei Bandleader Dave Mustaine. Zum Einen, weil er wie sein Kollege Waters von Annihilator zwei Weggänge in der Band zu verdauen hatte. Zum anderen, weil der Vorgänger „Super Collider“ von 2013 nicht überall für Begeisterung gesorgt hatte – bei allen interessanten Experimenten war das schlicht kein Metal, geschweige denn Thrash. Doch die Zeichen stehen gut: Mit Chris Adler (Lamb of God) an den Drums und Kiko Loureiro (Angra) als zweiten Gitarristen wurden die Lücken hochwertig gefüllt. Und auf dem Albumcover ist im Gegensatz zu „Super Collider“ wieder Maskottchen Vic Rattlehead zu sehen!

So verpackt Mustaine auch wieder politische Themen (‚The Treat is Real‘, ‚Post American World‘) in seine Songs und exerziert das Ganze gekonnt mit Neuem (orientalisches Intro) und Bewährtem (groovige Spitzen-Thrash-Riffs). Beim Titelsong klingen Megadeth fast proggig-melodiös wie seit zwanzig Jahren nicht mehr, Loureiros Solo ist vom Feinsten! Überhaupt ist der Touch des brasilianischen Gitarristen der Powermetal-Band Angra allgemein stark spürbar – und das ist als dickes Kompliment gemeint. Der Südamerikaner gibt dem Album eine frische Note, Mustaines Ego hingegen ist nach wie vor raumgreifend genug, so dass keine Gefahr besteht, Megadeth nicht mehr wiederzuerkennen. Der melodisch-progressive Powermetal-Touch steht der Band sehr gut zu Gesicht. Abgesehen davon stehen auf „Dystopia“ die Riffs und Drums eindeutig auf „Thrash“. Es ist, als hätte es „Super Collider“ nie gegeben. Wobei die Vielfalt auch beim neuen Opus absolut stimmt: ‚Poisonous Shadows‘ ist eine Art düstere Gothic-Ballade, die Drums knüppeln todesfett aus den Boxen. ‚Conquer Or Die!‘ hat ein flamencoeskes Akustik-Intro, knüppelt dann aber knackig auf den Hörer ein. Das Eröffnungs-Riff von ‚The Emperor‘ erinnert an ‚Symphony of Destruction‘ später steuert die Nummer in Richtung „launig-melodiöse Hardrock-Nummer à la Alice Cooper.“ Der Fear-Cover-Song ‚Foreign Policy‘ schließlich schlägt ganz im Geiste des Originals rotzig-punkige Töne an.

Man kann nun wieder die berühmte Frage stellen: Ist das Thrash-Metal? Man könnte „Dystopia“ so auf den Punkt bringen: Nachdem „Super Collider“ nicht mal mehr Metal war, ist „Dystopia“ wieder schwermetallisch geworden. Thrashig an vielen Stellen, aber es gibt auch jede Menge Einflüsse von Loureiro, der bekanntlich im melodischen Powermetal zu Hause ist und aus Südamerika stammt. Eines ist auch sicher: So interessant „Super Collider“ der eine oder andere gefunden haben mag. Die Fans werden das neueste Werk mehr goutieren und sich versöhnlich gegenüber dem „Ausrutscher“ zeigen. So kann das was werden, wenn Loureiro und Mustaine schon kurz nach der ersten Zusammenarbeit musikalisch so harmonieren.

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