And The Golden Choir – Das muss jetzt alles ich sein
Dein Bandname liest sich wie ein Bruchstück. Als würde da etwas Wichtiges, wenn nicht gar das Wichtigste noch fehlen. Was würde – wenn überhaupt – am ehesten vor dem „and“ andocken, ginge es nach dir?
Ich habe das tatsächlich so gemacht, um es offen zu lassen, ob da noch etwas davor kommt. Und dann hab ich, kurz nachdem der Name da war und die ersten Stücke, ganz viele Supports gespielt für andere Bands, und das war dann total perfekt, weil da dann etwa stand „Me And My Drummer And The Golden Choir“ oder „Slut And The Golden Choir„.
Wie rücksichtsvoll von dir.
Ja, das war nicht geplant, aber hat dann irgendwie gleich gepasst. Gutes Zeichen für mich. Fühlte sich gut an, aber jetzt ist es so, dass das Album „Another Half Life And The Golden Choir“ heißt und somit nochmal ein neuer unplanmäßiger Zusammenhang entsteht.
Wenn du dann bald Headliner bist, wird dich das vor Schwierigkeiten stellen. Oder auch nicht, denn dann gibt es wieder Anreiz, sich über die vermeintliche Lücke vor dem Bandnamen Gedanken zu machen. Da gibt – oder gab – es aber ja noch eine weitere Lücke zu füllen. Statt mit Band tourst du jetzt nämlich mit Schallplatten. War das eine Zweckmäßigkeitserwägung und hatte vornehmlich mit Logistik zu tun oder steckt mehr dahinter?
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Mehr als das. Vor dieser Entscheidung war die Musik da, und die hatte mir eine Art Dogma gesetzt, demgemäß alles selbst im Studio einzuspielen war. Und dass es keine anderen Musiker gibt, die mitspielen werden. Der nächste logische Schritt war, über die Live-Umsetzung nachzudenken: Nehme ich da jetzt eine Band mit oder nicht? Ich habe dann gemerkt, dass ich das alleinige Musikmachen auch mit auf die Bühne nehmen wollte. Ich habe zwanzig Jahre in verschiedenen Bands gespielt und die große Idee vorweg war, mich mal aus diesem Kreis der Bands auszuladen, eigene Ideen zu finden und zu schauen, wie es ist, wenn die Band nicht da ist. Wenn eigentlich keiner da ist, der mitmacht. Das war der Ursprungsgedanke, den ich dann auch so weitergesponnen habe, und dann war klar: Ich darf mit keiner Band auftreten, das muss jetzt alles ich sein. Wie aber kriege ich das am besten gespielt? Viele machen das mit Computern oder Loopstations – die find‘ ich langweilig! -, und Computer erscheinen bei dieser akustischen Musik nicht angebracht. Und darüber bin ich dann auf das Schallplattending gekommen, weil das so lebt, sich bewegt. Bei mir im Augenwinkel dreht sich immer was, es knistert. Und wo es gerade knistert, ist immer verschieden. Und das ist meine Band.
Sind denn eigentlich alle Golden-Choir-Stücke extra für ebendieses Projekt geschrieben worden, oder gab es da auch so ein paar „Schläfer“, würde ich sie jetzt einmal nennen, die sowieso schon da waren und deren Zeit du genau jetzt für gekommen hieltst?
Nein, die Stücke sind allesamt für And The Golden Choir geschrieben. Ich hatte vorher sehr viel mit den Bands Delbo und Klez.E zu tun, und in den Konstellationen zu spielen, hat zwar viele Songs hervorgebracht. Die sind aber meistens in der Gruppe entstanden, und da ist nichts abgefallen, woran man sich hätte bedienen können. Dieses Projekt war schon immer als mega-akustisch geplant und vom Klang her genau so, wie es jetzt klingt. Also so, dass nicht alles backmischungsmäßig klar ist und hip, sondern man einfach mal Musik macht. Ich habe teilweise angefangen, Songs nicht so zu schreiben, wie man sich das allgemein vorstellt, so mit Akustikgitarre und so, sondern ich habe fünf Minuten Schlagzeug gespielt und dachte dann nach zwei Minuten: Jetzt spielst du mal was anderes, das dann der Refrain sein könnte. Und das hat mich wiederum inspiriert, weitere Instrumente draufzuschichten. Eigentlich war das ganze Projekt in erster Linie erstmal für mich selbst da, nachdem ich immer in Bands gespielt hatte – mit vielen Kompromissen, die natürlich auch toll sind, weil die was bringen, was du selber niemals machen würdest. Aber das war dann der Moment, in dem ich einfach völlig losgelöst von alledem einfach schauen konnte, was mit der Musik passiert und was am Ende des Tages dabei rauskommt. Das Ergebnis hat mich auch selbst oft überrascht.
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Wie fühlt sich diese Art des Alleinseins nun an?
Super.
Schon auf Anhieb super oder erst ein bisschen komisch?
Das war schon erst komisch, weil man das als Sänger so gewohnt war, sich von seiner Band, die da hinter einem steht, in alles reinfahren zu lassen beim Konzert. Das fängt einen schon auf, wenn da andere Leute sich auch bewegen, rumspringen und laut sind. Das gab’s halt alles nicht mehr. Die ersten Konzerte waren entsprechend aufregend. Man kann das vielleicht ein bisschen vergleichen mit Singer-Songwriter-Musik, bei der man als Einzelner mit Gitarre auf die Bühne geht und alleine spielt.
Nur haben die dann typischerweise keine Schallplatten bei sich. Insofern gibt’s ja dann doch Verstärkung, auf die du zählen kannst. Wie viele „Bandmitglieder“ hast du denn nun eigentlich genau im Schlepptau?
Das sind momentan glaube ich sieben Platten, und auf einer sind immer zwei Stücke. Also insgesamt vierzehn Stücke.
Vergreifst du dich da manchmal?
Ist schon mal passiert – aber dann ist halt die Überraschung größer.
So ’ne Platte ist ja irgendwie ein ziemlich sturer Partner: Sie läuft unverzeihlich weiter, ganz egal, ob und wie und was du spielst. Die Platte improvisiert nicht, die Platte verzögert nicht, sie schleppt dich im Grunde durch dein Set. Eine merkwürdoge Art von Druck, die sich da entwickelt, oder? Wie war das beim ersten Mal live?
Das war komischweise ganz gut, weil die Platte mir dadurch Halt gegeben hat, den ich in der Situation, in der alles so neu war, gut gebrauchen konnte. Ich konnte mich auf jeden Fall darauf verlassen, dass die Band so spielt, wie sie spielen soll.
Also genau die Kehrseite von dem, was man hätte annehmen können.
Eigentlich war es für mich der ruhige Pol der ganzen Sache. Ich konnte mich darauf verlassen und wusste: Das wird klappen, die Platte wird gut klingen. Der einzige, der jetzt noch Mist machen kann, der bin ich. So. Und das hat mich erstmal beruhigt. Anders, als wenn man jetzt eine neue Band hat, die noch nicht eingespielt ist oder so. Von daher war es eher andersrum.
Andererseits aber ist die Mechanik ja auch sehr streng mit dir und lässt so einige Freiheiten, die man als Band hätte, nicht zu.
Die Platte spielt immer gleich, sie verzögert nicht, sie zieht nicht an, sie spielt nicht mal das Stück länger… Das ist schon etwas, was mir nach drei Jahren Unterwegssein mit Platten auffällt. Mir fällt auf, dass ich gerne mal wieder in den Stücken so rumspielen würde. Also, dass man zum Beispiel zu fünft auf der Bühne ist und sich anguckt und an einer Stelle, die besonders schön ist, einfach mal länger spielt. Das wird’s aber geben im neuen Jahr. Eine Idee wäre auch, einfach mal verschiedene Platten zu pressen, mit immer demselben Stück, aber jeweils verschiedenen Versionen, die dann vornerum oder hintenraus länger werden. Und dann kann ich mich gerade in dem Moment live entscheiden, welche Version ich spielen will. Das war aber so aufwändig, dass ich es bisher leider noch nicht geschafft habe.
Was sind für dich denn die Vorzüge gerade einer Schallplatte als Tonträger? Du könntest ja auch ein Band abspielen, eine CD laufen lassen …
Eine CD wäre so etwas ähnliches wie ein Computer. In einem stummen Gerät würde sich das Ding da drehen. Band wäre natürlich interessant, assoziiere ich aber interessanterweise eher mit elektronischer Musik. Anfang der 80er und Kraftwerk und im Hintergrund laufen Bänder oder so. Meine ursprüngliche Idee war ja Grammophon, aber diese Schellackplatten kann man ja leider nicht mehr pressen lassen, die werden nicht mehr hergestellt. Das war das größte Problem dabei. Das Medium Platte mag ich selber total gern und ich kaufe seit fünf Jahren eigentlich nur noch Platten, weil ich den Sound total gut finde. Irgendwie ist es so, dass man im Gegensatz zu den ganzen digitalen Sachen, die man ja eh nicht anfassen kann, mit einer Schallplatte einen Wert in der Hand hält: ein tolles Cover, oder noch zwei dazu, zum Aufklappen. Das find ich total schön.
Und was den Klang angeht? Das mit dem Schallplattensound ist ja ein sehr umstrittenes Thema. Während die einen physikalisch argumentieren und die Verlustbehaftetheit bemängeln, schwören andere wiederum auf Schallplatten, gerade weil sie ein intensiveres Klangerlebnis zu ermöglichen scheinen. Wer liegt da richtig und wie stehst du dazu?
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Da gibt es sehr viele Variablen, wie ich finde, vor allen Dingen jetzt, wo ich auch wirklich schon viele Platten gehört und auch aufgenommen habe. Es ist leider von ein paar Parametern abhängig, mit denen sich nicht alle wirklich so auseinandersetzen, wie sie es eigentlich sollten. Man muss bei der Herstellung, bei der Überspielung der eigentlichen Musik, die man heute auf digitalen Trägern hat, übersetzen, damit überhaupt eine Schallplatte bespielt werden kann. Und dieser Vorgang ist ein sehr sensibler. Wenn der an irgendeinem Punkt nicht wirklich gewissenhaft und leicht klangmäßig-nerdig betrachtet wird, kann man sehr viel kaputt machen. Es gibt durchaus Platten, die einfach sehr dünn klingen und eher spitz und nerven, aber wenn das gut gemacht ist, wenn das Vinyl gut klingt, ist das immer ein Vorzug. Gestern haben wir gekocht bei einem Freund und haben ganz viele Platten gehört und dann irgendwann, weil wir ein Lied hören wollten, was er nicht in seiner Sammlung hatte, umgestellt auf Laptop und haben es dann aus dem Rechner gehört. Und das war sofort spürbar anders. Die Höhen sind teilweise nervig, es hat keine Tiefe… Ich glaub, man kann das gut vergleichen mit Fotofilmen und digitalen Fotos. Filmfotografie hat Tiefe, so eine schöne … Schlierung.
Was hat dich denn vor fünf Jahren genau dazu gebracht, auf Vinyl umzusteigen und CD und mp3 gewissermaßen zu boykottieren? Gab es da eine Art Initialzündung?
Ist eine gute Frage. Ich hatte schon ein paar Platten zu Hause, die ich mir immer mal so gekauft habe, hatte aber bis dahin wirklich über Jahre sehr viele CDs gekauft. Ich habe ein Riesen-CD-Regal. Damals habe ich ja auch direkt mit CDs angefangen. Ich bin so’n Ost-Kind, und dann war halt die Mauer auf und es war so gerade die Zeit, da war ich 13, 14 und fing gerade an, mich mit Musik zu beschäftigen. Da konnte ich also in die Märkte gehen und mir endlich die Musik kaufen, die man im Osten nicht bekommen hat. Depeche Mode zum Beispiel. Das habe ich mir natürlich alles erstmal als CD gekauft, denn CD-Player gab’s bei uns auch nicht. Und dann nimmt man sich natürlich die neueste Technologie.
Und dann hast du irgendwann umgedacht.
Dieses Platten-Ding ging dann so langsam los, als ich gemerkt habe, wie man sich um Umfeld mal eben irgendwas runterzieht zwischen Frühstück und Losgehen. Dir fehlt dann eine Erinnerung, eine Geschichte dazu. Ich finde diese Erinnerungen schön. Auf Tour gehe ich viel in Plattenläden, und wenn ich die Platten auflege, weiß ich immer, wo ich sie her habe. Da hängt dann immer eine Geschichte mit dran. Und irgendwie hat sich das dann etabliert. Hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass ich mir für dieses Projekt vor fünf Jahren auch diesen Plattenspieler da hinten gekauft habe, weil vorher hatte ich nur so ’ne Möhre – und plötzlich konnte ich dann genießen. Dass die Nachfrage auch allgemein wieder steigt, man wieder presst und es selbst in den großen Elektronikläden wieder Vinyl-Ecken gibt, finde ich ganz toll.
Weißt du noch, welche deine erste Platte war?
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Ja! Meine erste Schallplatte war von Madonna. ‚True Blue‘ hieß die. Die hab ich mir auf dem Markt gekauft.
Und deine liebste?
Uh, meine liebste …
Du kannst auch drei nennen. Oder fünf. Oder zehn.
Ich sag‘ mal: Unter den liebsten ist die ’12‘ von Notwist, die ich auch wirklich als Schallplatte habe, die aber inzwischen mega-rar ist. Dann eine recht junge Platte: PJ Harvey ‚Let England Shake‘, find ich total super. Ich habe heute noch eine Platte gehört, die auf jeden Fall auch da reingehört, von der weiß ich aber nicht mehr, wie sie heißt. Das müsste ich mir aufgeschrieben haben. Die Band Dead Can Dance würde ich noch dazu nehmen und – wie konnte ich’s vergessen? – meine absolute Lieblingsband The Cure. Und da wär’s wahrscheinlich die Platte ‚Faith‘.
Interview: Valentin Erning
Fotos: Andreas Hornoff