Manimalism
22 Jahre sind eine lange Zeit. Kein Elefant der Welt ist so lange trächtig, kein Engerling so lange unter der Erde, kein Käse so lange genießbar. Beim Wein sieht es schon anders aus, und was Kunst, insbesondere Musik angeht, so ist diese völlig über die Zeit erhaben, solange man sie nur gut genug hinkriegt. Manimalism existieren als Band schon stolze 22 Jahre, und weil die Welt schlicht und ergreifend noch nicht bereit war, als die Norweger zu Beginn der 90er ihre Demos vorlegten, haben sie ihr Material zwei Jahrzehnte reifegelagert, um es genau jetzt wieder hervorzukramen – gebündelt und ergänzt zu einem Debütalbum.
„1992“ prangt als Jahr der Genesis in römischen Ziffern auf dem Cover, zwischen 1993 und 1999 entstanden die Stücke, 2002 bis 2013 nahmen Manimalism sie auf. Sollte 2021 noch Manimalism gehört werden, ist nicht nur erwiesen, dass alles seine Zeit hat und gut Ding Weile haben will, sondern auch, dass die Skandinavier in der Summe der Dinge alles richtig gemacht haben. In Zeiten, zu denen erwogen wird, Stammzellen einzufrieren, um für (oder gegen) die Eventualitäten der Zukunft gerüstet zu sein, braucht sich jedenfalls keiner groß über eine derartige musikalische Konservenbüchse beschweren.
Wie gerüstet allerdings Manimalism für die weitere Zukunft sind, ist kaum ablesbar, denn ihr Debütalbum hat notwendiger- wie unumgänglicherweise etwas Staubiges an sich und ist – seiner technisch ausgefeilten Partitur zum Trotz – relativ weit vom State of the Art der Metal-Spielarten entfernt. Was den Genuss nicht zwingend hindert. An Manimalism kann man seinen Spaß haben, solange einem nicht der Sinn für krude Ästhetik abgeht. ‚The Dandified And The Devilish‘, ‚Demons In Tuxedos‘, ‚The Cocktail Party To End Them All‘ – das Gros der verteilten Songtitel vereint gelfrisierten Hedonismus mit teuflischen Machenschaften, und so wundert es kaum, wie hier zwischen den von schaurigen Bassläufen wabbelig gespielten Zeilen immer wieder der alte Kumpel Rock’n’Roll hervorlugt, ohne am Detail zu sparen. Wenn The 69 Eyes im Proberaum großzügig einwerfen, machen sie vermutlich nicht ganz unähnliche Musik.
Was heute schon zum „Post-“ mutiert ist, ist hier noch weitgehend „Proto-„, Black Metal lässt sich höchstens erahnen, was nicht bloß am fehlenden Gutturalgesang liegt oder daran, dass wir alle noch als Kinder durch die Weltgeschichte spazierten. Band-Chef Kim Sølve, der als Teenager mit Taarenes Vaar (was deutlich spannender klingt als ‚Manimalism‚) jene Demos produzierte, für die die Welt seinerzeit wohl noch nicht bereit war, hatte seine Vision norwegischen Metallhandwerks schließlich gefriergetrocknet und die Frische von damals gleich mit. Jetzt tanzen die Moleküle wieder und bringen eine jazzgeschwängerte Dunkelsuppe ins Schwappen, die die abgestandene Avantgarde und den unbeeinflussten Wagemut einer vergangenen Epoche freisetzt, ohne je hinter langgezogenen Blastbeat-Palisaden und ähnlichem neumodischen Gerät Deckung zu suchen. Der Hörer erfährt Manimalism wie ein Museumsstück: muffig, aber anspruchsvoll.