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Machina Viva

Man stelle sich das vor: zwischen jeder Menge gesichtslosem Genre-Durchschnitt gibt es auch 2016 immer noch Progmetal-Bands, die weder nach Dream Theater noch nach Opeth noch nach Mastodon noch nach Animals As Leaders klingen! Wolverine aus Schweden sind so eine dieser Ausnahmeerscheinungen. Und logischer- und tragischerweise deshalb bislang nicht mehr als ein Geheimtipp. Aber was für einer! „Machina Viva“ könnte nämlich, wenn die Konkurrenz sich nicht noch tierisch anstrengt, das Progalbum des Jahres werden (Sorry, Haken…).

„Machina Viva“ strotzt nur vor großen, epischen, futuristischen, aber gleichzeitig organischen Klangwelten mit Post-Metal-Anleihen – im Sinne von z.B. Isis (aber ohne die harschen Vocals). Das Flair der Scheibe erinnert ein wenig an die entrückte Atmosphäre von SciFi-Kult-Filmen wie ‚Lautlos im Weltall‘ oder dem 2009er Geniestreich ‚Moon‘. Dazu ein gefühlvoller Sänger, der mit wirklich eigenständigen Melodien punktet, die sich bleibend ins Gehirn fräsen. Nicht zu vergessen, die großartige Gitarrenarbeit, die in bester OSI-Manier metallische Riffs und floydige Gänsehaut gleichermaßen anbietet. Ach, und was für eine Rhythmusgruppe… Wer sich nicht spätestens im Fretless-Bass-Solo in der Mitte des 15-Minuten-Openers ‚The Bedlam Overture‘ in die Scheibe verliebt, dem ist wohl nicht mehr zu helfen.

Das Beste aber: Trotz teils hochkomplex verschachtelter rhythmischer Variationen (teilweise auf King Crimson-Niveau!) und abwechslungsreicher Songstrukturen verlieren Wolverine erfreulicherweise nie den Faden oder wirken gar aufdringlich. Wer nicht explizit drauf achtet, dürfte vermutlich gar nicht mitbekommen, welche technischen Kabinettstückchen die Jungs hier abziehen – Feeling statt Gefrickel ist hier angesagt. Dazu gibt es noch gelegentliche TripHop-Elemente (‚Machina‘), reduzierte Semi-Akustiksongs (‚Pile Of Ash‘ – als Bonus Track nochmal mit Cello-Begleitung vertreten) und immer wieder herrlich analog klingende Richard-Wright-Gedächtnissynthies, die sich alle perfekt ins Gesamtwerk integrieren.

„Machina Viva“ ist zutiefst melancholisch, aber nie depressiv oder jemals unterkühlt. Ganz im Gegenteil, das Album strahlt trotz allem einen vorsichtigen und durchaus schon leicht lädierten, aber dennoch stets präsenten Optimismus aus, wie man ihn im Metal-Bereich normalerweise nicht serviert bekommt. Fast so schön wie an einem Wintertag bei einem heißen Tee mit dem Schatzi eingekuschelt in die Lieblingsdecke seinen Träumen nachzuhängen. „Sad is happy for deep people“, wie man so schön sagt.

Das klingt jetzt freilich mehr nach Liebesgeständnis als nach sachlicher Rezension, aber „Machina Viva“ ist halt auch einfach ein Album zum Liebhaben. Auf Youtube gibt’s Videos zu ‚Our Last Goodbye‘, das Lyricvideo von ‚Machina‘ und über die Website des britischen PROG-Magazine kann man den Song ‚Pledge‘ als Stream begutachten. Wenn ihnen auch nur etwas Gerechtigkeit zuteil wird, sollten sich Wolverine mit diesem Album in die erste Reihe der internationalen Prog-Garde einreihen können. Ich für meinen Teil bin jetzt erstmal verliebt.

(geschrieben von Sascha Glück)

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