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The Ghost Of Orion

Es gibt Bands, die einem am Herzen liegen, die man seit den ersten Tagen verfolgt, bei denen man ziemlich schnell – um nicht zu sagen wie vom Blitz getroffen – zum absoluten Fan wird, und die Jahr um Jahr nichts anderes getan haben, als dieses zu bestätigen. My Dying Bride sind ein Modellbeispiel für eine solche Band. Jedes einzelne Album – selbst das zu seinem Zeitpunkt doch eher unzugängliche, stilistisch sehr unterschiedliche Werk „34,788%….. Complete“ – waren Meilensteine. Die Qualität des Songwritings, die Abwechslung, die Spannung, die Dynamik, der cleane Gesang und die Growls, die betörende Geige – My Dying Bride sind aus den Zutaten gemacht, die Legende sind und unzählige Bands überhaupt erst dazu angeregt haben, selbst Musik zu machen. Jedes Album war auf ein neues Melancholie in Perfektion. Man konnte blind erwarten, etwas Großartiges in den Händen zu halten.

Nach einer verhältnismäßig langen Pause, bedingt dadurch, dass Sänger Aaron Stainthorpes Tochter an Krebs erkrankte und ihn besiegte, erscheint nun das neue Werk „The Ghost Of Orion“.

Man will nicht wissen, was Stainthorpe in dieser Zeit durchmachen mußte und wie ihn dies geprägt hat. „Tired Of Tears“ ist ein Song, der sich mit diesem Thema beschäftigt. Irgendwann hat man keine Tränen mehr. Der Verlust dieser Traurigkeit, das Nicht-mehr-traurig-sein-können, und der gute Ausgang dieser Tragödie sind offensichtlich Dinge, die in diesem Album verarbeitet werden. Doch was passiert mit einer Band, die von Traurigkeit und Melancholie durchzogen ist wie kaum eine andere, wenn die Traurigkeit plötzlich fort ist? Sich nicht mehr verarbeiten lässt? Der Gedanken an Anderes Überhand nimmt, und die im Leben allgegenwärtige Traurigkeit, die die Band 28 Jahre lang in ihren Songs verarbeitet hat nun woanders kanalisiert wurde?

Jetzt kommt der schwierige Teil dieser Rezension, dünnes Eis sozusagen. Denn die Traurigkeit – sie fehlt. Alle Elemente die My Dying Bride jemals ausgemacht haben sind vorhanden. Aber die Metaebene fehlt, die wie ein mal dünneres, mal dickeres Netz verwobene Düsternis.  Nach Veröffentlichung des Openers „Your Broken Shore“ schien alles in bester Ordnung. Der Song ist My Dying Bride in Reinkultur. Doch danach passiert – nichts mehr. Acht Tracks enthält das Album, von denen drei zu vernachlässigen sind bzw. höchstens im Komplettdurchlauf halbwegs Sinn ergeben. Da ist das wohl als Outro gedachte „Your Woven Shore“ – eine zweiminütige Nummer aus kirchenähnlichen Chorälen mit einem verhallten Keyboard und Streichern unterlegt, das vermutlich an „For My Fallen Angel“ erinnern soll, dies aber in keiner Sekunde qualitativ erreicht. Der Titeltrack besteht aus einer repetitiven Akustikgitarre, die klingt als hätte eine Alcest-CD einen Sprung; ist unterlegt mit Keyboard und Flüstergesang und ebenfalls ein seltsam unzugängliches, wenn nicht gar hochgradig langweiliges Stück, in der Mitte des Albums positioniert. Schließlich gibt es mit „The Solace“ noch einen Song, der vollkommen unter ferner liefen läuft – dasselbe Strukturmuster wie der Titeltrack, doch diesmal mit verzerrter Gitarre und weiblichem Gesang. Keine Melodie, nicht nachvollziehbar, scheinbar willkürliches Tongespiele ohne Struktur.

Bleiben also noch fünf „echte“ Songs. Außer dem wie bereits gesagt exzellenten Opener noch vier. „Tired Of Tears“ ist textlich herausragend, aber eine relativ sperrige Nummer mit relativ wenig Wiedererkennungswert. „To Outlive The Gods“ mag anfangs mit seiner traurigen Geigenmelodie noch gefallen, ufert dann aber ziemlich schnell in ein zähflüssiges, repetetives Monstrum aus, das stellenweise mit seinem Gitarrenspiel wirkt als wäre ein Anfänger am Werk. Die langgezogenen, für die Band so typischen Gitarrenmelodien wackeln, haben Mißtöne und zittern. Die Produktion ist anders als das, was man von früher gewöhnt ist – keine Breitwand, sondern alle Elemente nebeneinander – wodurch sich der Eindruck des Sperrigen noch vervielfacht. Selbst bei besten Kopfhörern wirkt der Gesang stellenweise unbeteiligt, wie aus dem Nebenzimmer eingesungen.

Kurz vor Ende des Albums wird man bei „The Old Earth“ am Anfang noch einmal hellhörig – das klingt wieder wie früher. Doch auch dieser Song lässt den Hörer das Interesse verlieren, da das am Anfang aufgefahrene Riffe etwa 36mal wiederholt wird. Auch hier ist der cleane Gesang lasch und abwesend, die Gitarren bestehen nur aus zwei bis drei Tönen unterschiedlicher Tonlage, mal ein- mal zweistimmig, aber immer ohne Dynamik. Eben diese Dynamik, die Tempiwechsel, die vielen verschiedenen Riffs, die Songs wie „She Is The Dark“ oder „The Prize Of Beauty“ ausgemacht haben – weg. Hier wechselt das Tempo von Langsam zu ganz langsam zu etwas schneller als langsam, das Ganze ziemlich abrupt und für das Gefühl, das der Song auslöst, vollkommen sinnlos und kontraproduktiv. Manchmal hat man das Gefühl, da versucht jemand My Dying Bride zu kopieren, kriegt es aber nicht wirklich hin.

Nicht dass man das falsch versteht – „The Ghost Of Orion“ ist immer noch ein ganz passables Album, besser als viele andere. Die Qualität anderer My Dying Bride – Alben erreicht es aber – außer beim Opener – niemals. Wenn bei My Dying Bride – den Großmeistern der überlangen Songs – nach 4 Minuten die Frage aufkommt wann der Song endlich vorbei ist und man feststellt, dass das jetzt noch 8 Minuten so weitergeht, dann stimmt etwas ganz und gar nicht.  Musikalisch eine der größten Enttäuschungen seit langem. Hoffen wir, dass das folgende Album – ähnlich wie die beiden auf das letzte unzugängliche Werk „34,788%….Complete“ folgenden Alben – wieder herausragend sein wird.

 

 

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