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Cobra Verde

Mit ihren Wurzeln in der Death-Metal-Szene in Rom entstanden Hideous Divinity nach dem Ausstieg von Bandgründer Enrico Schettino bei Hour of Penance, weitere Musiker in der Anfangsbesetzung waren Ex-Mitglieder der Science-Fiction-Metaller von Eyeconoclast. Mit ihrem Debütalbum setzen die Italiener Anfang 2012 ein Ausrufezeichen im Death-Metal-Untergrund. Das Konzeptalbum „Obeisance Rising“ basiert auf dem Science-Fiction-Film „Sie Leben!“ von John Carpenter, in dem Außerirdische unerkannt auf der Erde leben und Medien und Politik kontrollieren. Das interessante und in Zeiten von Wikileaks und NSA-Skandal mehr denn je aktuelle Thema überzeugte auch mit vielseitigen und ultraharten Technical-Death-Metal-Songs. Nach einer beinahe kompletten Umbesetzung nach der Veröffentlichung des Erstlings sind die Jungs nun mit dem erneut starken Nachfolger zurück am Start. Erneut hat das Quintett ein Konzeptalbum geschrieben, das auf dem Filmdrama „Cobra Verde“ von Werner Herzog beruht. In dem Film spielt Herzogs kongeniale Hass-Liebe Klaus Kinski den grausamen, in Ungnade gefallenen Gesetzlosen Cobra Verde und späteren Sklavenaufseher Manoel Da Silva, der zum Vize-König eines afrikanischen Stammes aufsteigt. Von dort aus plant er die Rache an seinen ehemaligen Weggefährten, letztlich scheitert er damit jedoch.

Die Songs orientieren sich an einzelnen Szenen, aber auch Stimmungen und Themen aus dem Filmdrama, ohne diesen im eigentlichen Sinne nachzuerzählen. Einzeln und sehr wirkungsvoll eingestreute Monologe aus dem Film unterstreichen Atmosphäre oder Thema. So beginnt ‚In My Land I Was A Snake‘ mit einem einblendenden Riff und einem Sample, in dem Kinski diesen Satz im Hinblick auf seine Vergangenheit als Outlaw sagt. Dann geht’s mit Vollgas mitten ins Geschehen, in ein technisch komplexes und äußerst vielseitiges Death-Metal-Album, das in vielerlei Hinsicht aus dem Rahmen fällt und genau deshalb außergewöhnlich ist. „Cobra Verde“ ist schnell – aber nicht immer, das Album variiert das Tempo selbst innerhalb der einzelnen Songs sehr stimmig. „Cobra Verde“ ist ultrahart – aber keinesfalls einfallsloses Dauergeknüppel. ‚In My Land I Was A Snake‘ ist direkt ein sieben-Minuten-Kracher, bei dem das alles zutrifft und der am Ende mit einem düsteren Riff ausklingt, das in den nächsten Titel ‚The Sombre Empire‘ übergeht. Was auf dem ganzen Album ebenfalls sehr positiv heraussticht: ALLE Instrumente sind gleichberechtigt – und das merkt man vor allem auch an der Produktion. Selten haben auf einem Genre-Album wie diesem alle Musiker ihren Raum, den Bass von Stefano Franceschini hört man genauso wie die Lead-Gitarre von Antonio Poletti. Growler Enrico (abseits von der Musik Gesangslehrer) hält alles mit seiner variantenreichen Stimme zusammen. Der Titelsong ‚Cobra Verde‘ ist beinahe gruselig und baut mit wenigen, langsam gespielten Tönen auf der Gitarre, die von Blastbeats durchbrochen werden, eine unglaubliche Atmosphäre auf. „Cobra Verde“ ist der Banditenname von Da Silva aus seinem ersten Leben als Gesetzloser, einer skrupellosen Persönlichkeit, die der Song gelungen musikalisch reflektiert.

Der brutale 5-Minuten-Kracher ‚Sinister And Demented‘ ist ein weiterer Leckerbissen, technisch anspruchsvoll ohne prätentiös zu sein, mit ultra-brutalen Growls und Screams, Hammer-Riffs und Blastbeats, aber dennoch mit einem feinen Gespür für Melodik. Für die Gast-Vocals bei ‚The Alonest of The Alon‘ konnten die Italiener niemand Geringeren als Nile-Sänger Dallas Toler-Wade gewinnen. ‚Alonest Of The Alone‘ klingt bis auf die Wechselgesangs-Doppelspitze zunächst wie ein unscheinbarer, konventioneller Death-Metal-Song, was sich jedoch noch einigen Durchläufen ändert. Neben dem irrsinnigen Drumming und den düsteren Riffs bleibt vor allem der Text hängen, die auf die Einsamkeit da Silvas Bezug nimmt. Schnell ertappt man sich selbst dabei, unter der Dusche oder bei anderen Gelegenheiten „Alooooone“ vor sich hin zu growlen. ‚The Last And Only Son‘ ist ein Cover-Song von Ripping Corpse, der Untergrund-Legende aus der frühen US-Death-Metal-Szene der späten 80er. Ripping Corpse sahen ihren Kollegen von Morbid Angel und Immolation dabei zu, wie sie erfolgreiche Bands wurden, ohne selbst den gewünschten Durchbruch zu erleben. Bandleader Enrico ist ein großer Fan und holte sich bei Mitgliedern der nicht mehr existierenden Band persönlich den Segen ab, einen Song zu covern, der besonders von der Stimmung tadellos ins Album passt. ‚Adjinakou‘ ist einem afrikanischen Geisterwesen aus dem Film gewidmet und zeichnet eher ein musikalisches Bild als daß es eine Geschichte erzählt. Langsam, bedrohlich, dissonant – einmal mehr sehr stimmungsvoll. Die Stimmungen sind eine der großen Stärken des Albums, neben dem für ein Death-Metal-Album besonders lobenswerten Variantenreichtum. Trotzdem ist „Cobra Verde“ sehr homogen und hat einen sehr gelungenen Flow. Abgerundet wird das alles mit dem stimmigen Cover-Artwork, das eher aus dem Rahmen fällt. Mit dem geschwärzten Gesicht Da Silvas, Schlangen, Masken und zähnefletschenden Bestien weckt es aber dennoch Neugier auf das Album.

Wer seine tägliche Dosis Todesmetall also nicht zwingend mit Blut, Gedärmen und Pentagrammen braucht, sondern einen intelligenteren Zugang zu den Abgründen der menschlichen Seele schätzt, ist bei Hideous Divinity gut aufgehoben. Gore, Pentagramme und Zombies hat das derbe Quintett nicht nötig – ihre Musik und Message spricht auch ohne Klischees für sich! Fans der Todespharaonen von Nile, Suffocation, Hate Eternal oder den frühen Decapitated werden „Cobra Verde“ lieben. Auch gab Songwriter Enrico im Interview mit uns an, beim Schreiben des neuen Werks stark von Ulcerate aus Neuseeland inspiriert worden zu sein, mit der die Band wenn auch nicht den Post-Metal-Touch, so mit Sicherheit jedoch einen gewissen progressiven Ansatz bei ihrem Death-Metal teilt. Fazit: Absolut klischeefreier aber astrein-brachialrer Brutal-Death-Metal. Buon Appetito!

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