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The Chopin Project

In Zeiten, zu denen allerlei Vorverdautes auf den Markt gespien wird und dank eines David Garrett sogar die klassische Musik ergeben ihre Beine breit macht, kommt einer wie Ólafur Arnalds gerade recht. Der junge Isländer hat sich einem seiner Lieblingskomponisten, Frédéric Chopin, angenähert – weniger als tumber Wiederkäuer denn vielmehr als wahrender Arrangeur. Partner in crime: die deutsch-japanische Pianistin Alice Sara Ott, auf deren Hände, Finger und Gefühl die einzelnen Klavieraufnahmen zurückgehen.

Nun ist es ja kein Geheimnis, dass Arnalds der Klassik nahe steht. Das haben auch seine jüngsten Anstrengungen in Sachen Minimal-Techno mit Kiasmos nicht vergessen lassen. Wobei: Vielleicht kommt gerade jener Veröffentlichung wegen die neue Nacktheit und das Geschichtsbewusstsein der Musiker etwas überraschend. ‚The Chopin Project‘ bezieht die Aufnahmerealität dort mit ein, wo alles andere Blödsinn wäre. Und das wäre es nach Ansicht Arnalds‘ fast überall. Die Sterilität zeitgenössischer Klassik-Aufnahmen nervte ihn, und statt noch länger auf jemanden mit den richtigen Ideen zu warten, setzte er sie sich einfach selbst in den Kopf: Aufnahmetechnik nicht als teilnahmsloses Tarnkappenwerkzeug, sondern vielmehr als offen zutage tretende Größe des Geschehens. Adieu, HiFi, der Pianist darf atmen – man höre sich nur die c-Moll-Nocturne (Op. 48, Nr. 1) an –, der Hocker darf knarzen, man darf hören, wie sein Finger die Taste berührt.

Auch das Instrument muss nicht seelenloses Studiojuwel sein; Klaviere mit „Persönlichkeit“ waren gefragt. Auf einem Streifzug durch Reykjavík machten Alice Sara Ott und Ólafur Arnalds derartige Charakterinstrumente ausfindig – und dabei auch keinen Bogen um hoffnungslos verstimmte Kneipenklaviere. Die Nocturne in g-Moll (Op. 15, Nr. 3) begleitet gar Geplätscher. Wer genau hinhört, vernimmt eine Konversation im Hintergrund. Nicht nur hier lohnt es sich, ganz aufzudrehen, um mehr von dem zu spüren, was sich das kongeniale (hier stimmt die Begriffsverwendung ausnahmsweise mal) Duo in den Kopf gesetzt hat.

Was aber wäre ein Arnalds-Album ohne Streicher? In erster Linie wohl nicht ganz fertig. Und so geigt die norwegische Violinistin Mari Samuelsen Nathan Milsteins Bearbeitung der Nocturne in cis-Moll, die nahtlos übergeht in ‚Reminiscence‘, eines vierer gesetzter, flächiger Intermezzi aus Arnalds‘ eigener Feder, die die chopinsche Traurigkeit so einfühlsam auffangen, sich so geschmeidig zwischen Alice Sara Otts Einspielungen betten, dass sich von einer Seelenverwandtschaft sprechen ließe – und das nicht nur zwischen den lebendigen Musikern. Das alles ist kein staubtrockenes, auf die Tasten geleimtes Musikschul-Quartalsvorspiel, nein, das ist kollektive Anrufung eines einzigartigen Komponistengeistes. Hier wird nicht transportiert, nicht ein-, sondern aufgeweckt. Wer das nicht über die Maßen toll findet, glaubt auch, Chopin sei Franzose gewesen.

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