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Particles

Nachdem bereits Gong das Kunststück geschafft haben, ohne Daevid Allen den Spirit der Band überzeugend weiterzutragen, liefern nun auch Tangerine Dream mit „Particles“ einen ersten Vorgeschmack auf die Zukunft nach Edgar Froeses Tod. Und, soviel vorweg, der fällt durchaus vielversprechend aus.

Ein „richtiges“ Album ist „Particles“ freilich nicht geworden, sondern lediglich eine Compilation, die Einblicke in den aktuellen Stand der Dinge gibt. Die knapp 90 Minuten Spielzeit teilen sich auf in Livetakes, ein Cover, ein Re-Recording und eine Studio-Improvisation. Die Neueinspielung von ‚Rubycon‘ is dabei wohl noch am Unspektakulärsten. Die 2017er Version ist gerade mal halb so lang wie das Original, hier wurde viel gestrafft und soundtechnisch – behutsam – modernisiert. Dennoch bleiben Struktur und Atmosphäre des Originals durchaus erhalten, es wurden keine „zeitgemäßen“ Beats oder Ähnliches eingebaut, alles passiert genauso wie auf dem Originalalbum – nur eben in schnellerer Abfolge. Ganz nett, aber auch nicht essenziell.

Am Interessantesten ist für die Fans natürlich die Improv „4:00 pm Session“ – und die ist definitiv ein Kaufanreiz und macht absolut Appetit auf mehr. Wie es in der Natur von Improvisationen liegt, ist vielleicht nicht jede der 29 Minuten voller Inspiration – man hört, wie die drei Musiker Ideen und Stimmungen in den Raum werfen, sie aufgreifen, aufbauen, wieder verwerfen und sich der nächsten zuwenden. Das Spontane und Unfertige ist dabei natürlich genau der Clou, denn da fühlt man sich wirklich an die klassische Phase der Band erinnert, in der auch noch nicht alles perfekt und Platz für abseitige Ideen und Einwürfe war. Man könnte fast sogar behaupten, daß ‚4:00 pm Session‘ mehr vom originalen Geist von Tangerine Dream transportiert als das Meiste, was die Band seit den späten Achtzigern auch [i]mit[/i] Edgar Froese gemacht hat. Alleine hierfür lohnt sich die Anschaffung in jedem Fall.

Die Coverversion des Titelthemas der Netflix-Serie „Stranger Things“ ist in ihrer Existenz durchaus eine Kuriosität – die Macher der großartigen Achtziger-Nostalgie-Mystery-Serie hatten das Stück als bewusstes Tribut an Tangerine Dream im Stil ihrer Achtziger-Soundtracks geschrieben. Ein wenig, als würde Mike Oldfield Rob Reeds „Sanctuary“ covern – aber natürlich dennoch ein gelungenes Stück im typischen Tangerine Dream-Stil. Abgerundet wird „Particles“ noch von 35 Minuten Livemusik. Es gibt drei ältere Songs, darunter ‚White Eagle‘ (Schimanski-Fans auch bekannt als ‚Das Mädchen auf der Treppe‘), und zwei vom „Melia Kuna“-Album. Im Gegensatz zu beispielsweise Kraftwerks aktuellen Livemitschnitten klingen die Songs auch tatsächlich nach Performance, inklusive kleiner Änderungen und Improvisationen.

„Particles“ ist also eine schöne Visitenkarte, mit der Tangerine Dream allen Fans durchaus Hoffnung für die Zukunft machen können – nicht mehr und nicht weniger. Auch ohne den Boss ist die Luft noch lange nicht raus.

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