Sorceress
Ein neues Opeth-Album wird mit besonderer Spannung erwartet, zumal Opus Nummer Zwölf das erste auf dem eigenen Label Moderbolaget ist. Noch mehr künstlerische Freiheit für Mikael Åkerfeldt also, der schon immer sein eigenes Ding machte. Die Schwedische Band, die sich in den letzten 20 Jahren wohl wie wenige andere gewandelt hat, spaltet nach wie vor die Geister. Inzwischen dürfte aber klar sein, daß von Mastermind Mikael Åkerfeldt keine Blastbeats und Growls mehr zu erwarten sind, sondern psychedelisch-anspruchsvolle Songs, die von den Lieblingsbands des bekennenden 70er-Vinyl-Sammlers geprägt sind. Metal kann man das schon länger nicht mehr nennen. Und obwohl das inzwischen hinreichend diskutiert wurde, ist es genau das, was die Geister nach wie vor spaltet. Man muss sich auf die neuen Opeth eingelassen haben, sonst wird man bei hoher Klasse in vielerlei Hinsicht auch von „Sorceress“ nicht begeistert sein. „Sorceress“ ist Album Drei seit dem krassen stilistischen Wechsel der Band mit „Heritage“ und darf daher kritisch im Sinne einer Bestandsaufnahme betrachtet werden. Wo stehen Opeth 2016, was macht die Band (noch) aus?
Zunächst gibt auch auf dem neuen Album sehr viel zu entdecken und sehr viel zu loben. Åkerfeldt lotet weiter munter und ohne Rücksicht auf irgendwelche Erwartungen aus, was ihm gefällt. Seine Mitstreiter haben den Freiraum, den fertigen Songs im Demo-Status dann im Studio mit ihren exzellenten Fertigkeiten ihre eigene Note mitzugeben. Und das ist auf „Sorceress“ vor allem der noch weiter ausgedehnte Vintage-Sound, der sich auch im Instrumentarium widerspiegelt. Hammond-Orgeln und „antike“ Verstärkerboxen mit ganz eigenem Klang und einiges mehr ist da an altem Equipment zu hören. Jenes steht in den legendären Rockfield Studios in Wales „herum“, in dem zahlreiche Meilensteine der Rockgeschichte entstanden sind und in denen auch die Skandinavier ihr neuestes Werk produziert haben. Obwohl das „Sorceress“ einen eigenständigen Sound gibt, ist das nach dem Vorgänger „Pale Communion“ beileibe keine Überraschung. Dass die Songs trotz dem durchgehenden, beschriebenen Vibe rein stilistisch heterogen aufgestellt sind, dagegen schon.
Der instrumentale Prolog ‚Persephone‘ ist die zarte Vermählung einer folkigen Akustikgitarre und den sehr dezenten Tasten von Keyboarder Joakim Svalberg. Der Titeltrack taucht dann voll in den psychedelischen 70er-Fusion-Prog ein und ist ein komplexes Gebilde aus mehreren „Akten“, bei dem Zahnräder aus Rhythmen, Tempi und Emotionen stimmig ineinander greifen. Leicht zu erfassen ist der Song nicht, der wie für Opeth typisch zwischen hart (Riffs und Drums) und schaurig-wehmütig (Gesang und Keyboards) oszilliert. ‚The Wilde Flowers‘ ergeht sich über sieben Minuten ebenfalls in wildem Orgel- und Gitarrenspiel sowie in ruhigen Sequenzen und zeigt erneut, wie sich Åkerfeldts Gesang verbessert hat. Genau wie ‚Will O The Wisp‘ hat auch der Vorgänger die melancholischen Gesangspassagen, von denen viele im Ohr bleiben. Ersterer bleibt allerdings durchgehend sehr ruhig, was sich gut als Gegenakzent zu dem drängenden Drama des folgenden ‚Chrysalis‘ macht, dem wahrscheinlich „härtesten“ Song auf „Sorceress“. An nicht wenigen Stellen wartet man auf Growls – sie hätten gepasst, kommen aber nicht. Im letzten Drittel nimmt der Song an Intensität wieder ab – ein Phänomen, das auf diesem Album bei etlichen Titeln zu beobachten ist.
‚Sorceress 2‘ ist die kleine Schwester des Titeltracks. Die folkige Ballade steht metaphorisch als Verführerin, die mit betörendem Gesang, Akustik-Gitarre und Flöte ein nicht minder gefährliches Netz spinnt als die erste Zauberin. Das Instrumental ‚The Seventh Sojourn‘ kommt so dermassen orientalisch-exotisch daher, dass der Song sich gänzlich von bisher gewohnten Klängen abhebt. So gesehen ein Highlight, das diejenigen zumindest an dieser Stelle des Albums Lügen straft, die Åkerfeldt Stagnation unterstellen. Das hier ist etwas Neues, das viele vermutlich nicht einmal als Opeth erkennen würden. Das Lied driftet in der letzten Minute mit psychedelischem, weiblichem Gesang und Keyboard stilistisch wieder ins Lager von Hammond & Co. und leitet so stimmig zu ‚Strange Brew‘ über. Mit fast neun Minuten der längste Song des Albums, erinnert das wohl psychedelischste Kapitel von „Sorceress“ mit seinen ausufernden Hammond-Orgeln und dem extravaganten Drumming wie eine einzige, ehrfürchtige Verbeugung vor The Doors. Darin macht er seine Sache wunderbar. ‚A Fleeting Glance‘ hat diese kleine, witzige „mittelalterliche“ Melodie, ‚Era‘ hat über eine Minute lang nur ein minimalistischs Keyboard-Crescendo zu bieten, bevor es sich mit drängenden Riffs, tollem Drumming und betörendem Gesang immer weiter zur Klimax des besten Gitarrensolo des Albums hinauf schraubt.
Mikael Åkerfeldt hat in Interviews immer wieder seine grosse Bewunderung für die grossen Rockbands der 60er- und 70er Jahre bekräftigt. Zu seiner Meinung zu Rockbands der Gegenwart gefragt, hatte der Künstler unter anderem auch angegeben, dass ihn viele moderne Rockbands nicht mehr interessieren würden, sobald sie ihn an eine alte Band erinnerten. Was für eine Ironie, dass sich Opeth mit der immer stärkeren Ausrichtung am Sound genau solcher „alter Bands“ nach dieser Definition für Åkerfeldt selbst immer uninteressanter macht. Es ist überspitzt, aber man kann sich schon nach dem Grad an Innovation fragen, den Opeths Sound 2016 hat. Opeth sind zweifellos erstklassige Musiker, das Album ist astrein produziert, die Songs stimmen – das ist alles ist gar keine Frage.
Es ist Kritik auf hohem Niveau, denn „Sorceress“ ist objektiv ein gutes, gelungenes Album. Subjektiv berührt „Sorceress“ weniger als „Pale Communion“. In gewissem Sinn sind Opeth 2016 vorhersehbar geworden. Das ist kein Makel per se, vor allem, wenn dabei ein immer noch runderes Album herauskommt als bei den meisten anderen Bands. Aber es dürfte selbst bei vielen jener, die die Band nach der Abwendung vom Metal nicht kritisiert haben, für ein Stirnrunzeln, vielleicht ein anerkennendes Schulterzucken sorgen. Man kann eben hohe Erwartungen nicht immer weiter übertreffen.