ROCK CASTLE – Avantasia im schönsten Schlossgarten Tschechiens!
Donnerstags ab 15 Uhr startet der erste Act. Mit Spannung wird der Auftritt von Kissin‘ Dynamite erwartet. Pain und Tyr runden als weitere Headliner den Abend ab.
Für Wohnwagen und Zelte stehen mehrere Zeltplätze zur Verfügung. Auf dem Sportplatz direkt oberhalb des Schlosses stehen die meisten Wohnmobile auf einem durchgehend bewachten Areal. Durch den Märchenwald gelangt man fussläufig zu den alten Schlossmauern und zum Festivaleinlass.
Das durch uralte Bäume großzügig beschattete Gelände besticht durch Romantik und führt leicht abfallend zur Bühne, umrundet von kreativen Imbissständen. Man findet von Langoš über Baumstriezel bis zur obligatorischen Coke als Sponsor alles. Das Schloss zeigt sich mit gekuppeltem Turm und dient mehrheitlich als Backstage Bereich. Unter den riesigen Bäumen findet sich genug Schatten, um auch bei 35 Grad entspannt auf den ersten Act Loretta zu warten. Anhand der Autokennzeichen dürften sich mehrheitlich Tschechen im Publikum und, anders als beim Metalfest in Pilsen, weniger Deutsche befinden. Mit Loretta eröffnet fulminante Frauenpower die Stage. Guter solider Heavy Metal. Eine reine Frauenband und die Frontfrau mit einer Stimme, die Lust auf mehr macht. Das Publikum, überwiegend männlich, zollt begeistert Tribut!
Die Crowd sieht rot
Kurz darauf heizt April Art aus Deutschland der Crowd ein. Frontfrau Lisa Marie erinnert stimmlich an eine junge Doro Pesch. Weniger Leder, dafür mehr Farbe und absolute Hingabe. Rote Haare, rote Kostüme, rote Instrumente, Farbe, die man regelrecht hören kann. Wild und ungestüm entfesselt sich die rote Urgewalt auf der Bühne. Die Crowd versammelt sich und feiert die Riffs. Noch ist es zu heiß für Moshpits. Lisa Marie erklärt dem Publikum, sie seien in Deutschland als Sportband bekannt. Deshalb heißt es nun «Jump for everyone»! Das neue Album „Pokerface“ mit der Single „Headline“ bringt facettenreiche Beats und dreckigen, ehrlichen Rock. „Your limits are just in your head…“ schreit sie der Crowd ins Gesicht! „The Sky is The Limit“ danke fürs Erinnern, April Art! Der rote Tornado bringt das Infield zum Kochen. Diese Band überzeugt live voll und ganz und hätte man auch prima als Headliner bringen können.
Umbau, kurzer Soundcheck, dann sollten Slope, die fünfköpfige Funk- und Hardcore Band aus Duisburg, starten. Mit nur einer Bühne verpasst man keinen Act. Das ist schön und anstrengend zugleich. Mal kurz beim Asiaten kalte Springrolls zur Stärkung verdrückt, steht man kurz darauf wieder stramm am Wellenbrecher. Der Timetable ist bereits 20 Minuten in Verzug aufgrund technischer Probleme. Das Publikum pfeift ungeduldig. Mit einer Entschuldigung für die Verspätung starten Slope, das erste Studioalbum „Street Heat“ als Logo im Background gehisst. Funky, groovy und psychedelisch brüllt es aus den Boxen. Etwas blechern starten die Jungs. Es scheint noch immer technische Probleme zu geben. Zu allem Unglück setzt auch noch Regen ein, man flüchtet unter die Zelte und die Jungs heizen dem verbliebenen Rest unbeirrt weiter ein. Rocker ab 45+ wähnen sich zurück in den 90ern. Hip-Hop und basslastiger Sound treffen zwar nicht ganz den Nerv des Publikums, aber wer schon mal am Wellenbrecher steht, macht auch mit. Das Wetter jedoch macht ganz und gar nicht mit. Sturmwarnung! Das Gelände wird kurzerhand geräumt und die Bühne mit Stahlseilen gesichert. Direkt unter dem Schloss dient ein alter Tunnel den Geflüchteten als Schutz. Die Menge singt inbrünstig tschechische Lieder in dem alten Gemäuer und lässt sich die Stimmung nicht verderben. Nach einer Stunde ist der Spuk vorbei und das Lineup wird ohne Ausfall weitergeführt.
Eric Martin, Gründungsmitglied und Sänger von Mr. Big, steht als nächsten Act auf dem Programm. Heute tritt Eric solo auf, morgen wird er mit Avantasia einige Songs gemeinsam performen. Er steht mit Avantasias Gitarristen Oliver Hartmann auf der Bühne und kredenzt mit „Wild World“ und „To Be With You“ die alten Hits von Mr. Big. Das Publikum im gut gefüllten Infield singt begeistert mit. Die Regenponchos verschwinden langsam wieder in den Taschen und die schwül feuchte Abendluft lässt die Area dampfen. Komplexe Gitarrensoli bringen die Crowd zum Jubeln. Metalheads können auch klassisch und Blues.
Kissin‘ Dynamite, die schwäbische Band, die 2018 zur besten deutschen Band bei den Metal Hammer Awards gekürt wurde, betritt die Bühne. Der gute alte Hardrock ist zurück und jünger und frischer als je zuvor. Man fühlt sich zurück versetzt in die 80er, inklusive Föhnfrisur und Röhrenjeans. Songs wie „Vodoo Spell“ erinnern an die ersten Alben von Bon Jovi. Kein Wunder fliegen auch Kissin‘ Dynamite die Frauenherzen zu.
Die Bühne erhält eine zweite Ebene mit dem imposanten Logo der Band, welches in allen Farben animiert werden kann. In Rauch gehüllt und explosiv startet die Show mit „I‘ve Got The Fire“. Die Crowd singt jedes Wort mit. Im Hintergrund hört man immer noch technische Störungen. Die werden einfach weggerockt. Es folgen die Songs „Somebody Gots To Do It“ und „Love It, Hate It“. Frontmann Hannes heizt dem Publikum in guter alter Rockmanier ein. Fäuste gen Himmel und irre Gitarrensoli bringen das Infield zum Dampfen. „Only The Dead“ erinnert uns daran, dass wir noch sehr lebendig sind. Mit „Sex Is War“, „Yoko Ono“ und „Not The End Of The Road“ finden sich weitere beliebte Songs der Band in der Setlist. Hit um Hit wird von der Bühne gedonnert. Bei „I Will Be King“ kommt Hannes im roten Königsumhang auf die Bühne und steigt auf den silbernen Thron, wie in einer leibhaftigen «Game of Thrones»-Folge. Die Crowd ist nun definitiv ready für den Hauptact Pain!
Auch Pain startet mit technischen Problemen. Techniker huschen auf die Bühne und justieren nach. Mit “It’s Only Them“ und mit synchron geschwungenen Häuptern der Bandmitglieder wird gestartet. Die eingängige Stimme des Hypocrisy-Sängers Peter Tägtgren, welcher mit Pain ein Projekt im Jahr 1996 startete, nimmt das Publikum mit in die Sphären düsterer Klänge. Die Power von Kissin‘ Dynamite kann jedoch nicht ganz mitgenommen werden. Die Crowd ist verhalten und einen Moshpit haben wir heute immer noch nicht gesehen. Jetzt wäre Zeit dafür. Der Timetable ist über eine Stunde verschoben und die tschechische Trinkfestigkeit hat langsam ihre Grenzen erreicht. Erstaunlich viele Alkleichen «verschönern» das Areal in dekorativen Haltungen. Auch bei „The Great Pretender“ geschieht nicht viel in der Crowd. Die Stimme des Frontmanns P. Tägtgren kommt nicht im Infield an. Technische Probleme oder einfach schwacher Auftritt? Pfiffe aus dem Publikum lassen Unmut erkennen. Applaus erklingt nur sehr verhalten. Nur eine handvoll Metalheads lässt sich begeistern. Auch nach Aufforderungen wie: „Ready? So screeeam!“, geschieht kaum etwas. Endlich bei „Suicide Machine“ bildet sich der kleinste Moshpit der Welt. Fünf Jungs brauchen endlich Körperkontakt und die Meute erwacht wieder etwas. Man sieht mehr Hände. So nach dem Motto „Machen wir das Beste draus“. Auch die Bälle im Publikum bei „Party in My Head“ reißen es nicht mehr raus. Anhand einiger unkoordinierter Bewegungen lässt sich vermuten, dass die Jungs nicht ganz nüchtern auf der Bühne stehen. Der Auftritt war schwach und vermag nicht zu begeistern. Kissin‘ Dynamite und April Art haben die Bühne deutlich mehr gerockt und qualitativ besser abgeliefert. Zeit ins Bett zu gehen. Morgen werden die Könige des Symphonic Metal erwartet: Avantasia!
[ngg src=“galleries“ ids=“112″ display=“basic_slideshow“]Freitag – Avantasia als absolutes Highlight
Avantasia haben heute die meisten Fans mitgebracht und wecken Erwartungen. Alte Knochen brauchen Schlaf und Vorbereitung auf die erneut angekündigten 35 Grad Hitze. Nach einem späten Frühstückskaffee geht‘s ab ins Dörfchen in eine der unzähligen tschechischen Brauereien. Locals wissen, wo es das beste Bier und ein leckeres Mittagessen gibt. In Tschechien lohnen sich die Brauereiausflüge sehr, um neue Craftbiere und deftiges regionales Essen zu entdecken. Ein Spaziergang am späten Nachmittag durch die winzige Altstadt führt zurück aufs Festivalgelände. Gefühlt sind etwas mehr Leute hier als am Vortag, ausverkauft ist das Festival aber keinesfalls. Da das Areal abschüssig ist, kann man sich gut hinten hinlegen und sieht trotzdem gemütlich auf die Bühne. Firestorm zieht also quasi im Traum vorbei. Guter alter Power Metal. Man merkt, die Jungs stehen schon ewig auf der Bühne. Sie haben treue Fans an den Wellenbrecher mitgebracht und liefern eine gute Show ab. Heute wird der traditionelle Baumstriezel probiert. Zuckerschock am Nachmittag macht verkaterte Geister munter. Sirenia, die norwegische Band aus Stavanger, startet mit „Addiction No 1“ noch etwas verhalten in den schwülen Abend. Frontfrau Emanuelle Zoldan bringt eine klassisch ausgebildete Stimme mit und die Mischung aus Gothic und Symphonic Metal legt einen melancholischen Nebel über den Schlossgarten. Die feuchte Hitze macht auch dem Publikum zu schaffen. Der größte Teil genießt die Show liegend auf der Wiese. Das Infield ist noch schwach besetzt. Beim dritten Song „Lost In Life“ dreht Emanuelle langsam auf. Die Power in der Stimme springt aufs Publikum über. Der Jubel wird lauter. Mit „The Last Call“ zeigt sich Sirenia von der ruhigen Seite und liefert stimmlich großartig ab. Die Crowd rückt nun näher und wippt zu den Chorälen.
Dieses kleine Festival findet 2022 zum zweiten Mal statt. Die Gemütlichkeit wird hier großgeschrieben. Nicht in tobenden Moshpits, sondern auf Picknickdecken wird sitzend die Musik genossen. Für die Bands fehlt die Stimmung etwas und es kostet mehr Energie, einen Zauber über die Crowd zu legen und sie zum Tanzen zu bringen. Emanuelle fragt dann auch scherzend das Publikum, ob es schlafe. Mit der gewaltigen Stimme und dem raffiniert geschlitzten Kleid ist das Energiebündel Emanuelle eine Augenweide. Die Setlist wird bei Siena immer wieder mal umgestellt. Mit dem Cover „Voyage, Voyage“ bringen die härteren Beats und die bekannten Lyrics etwas Bewegung ins Publikum. Sirenia Note 2, Publikum Note 4. Ein sauberer Auftritt, der eine tobende Crowd verdient hätte. Es ist davon auszugehen, dass das Publikum für die zweistündige Show von Avantasia Kräfte sammelt.
Die Nebenbühne, die es offiziell nicht gibt, bespielt übrigens der Vietnamese in seiner Kochschürze und gibt neben seinem Imbissstand alte Klassiker mit Akustikgitarre zum Besten. Gewinnt so jetzt keinen Preis, aber die Metalheads honorieren das charmante Bemühen.
Es ist soweit. Der überdimensionale Avantasiavorhang verhüllt die Bühne und die Menge «versammet» sich im Infield. Wo kommen plötzlich all die Leute her!? Mit „Twisted Mind“ fällt der Vorhang. Tobias Sammet, Gründer und Frontmann von Avantasia, König des Symphonic Metals, Erfinder der Metal Opera, lässt alte Zeiten aufleben. Das Publikum brennt ab dem ersten Klang! Die obligate «Post-Covid-Ansprache» folgt und schon geht’s weiter mit „Reach Out for the Light“ im Duett mit Ralf Scheepers. Die Videoinstallation entführt in andere Welten und ab und an huscht eine kleine schwarze Katze über die Brücke hinter Gevatter Tod in Überdimension. Definitiv ist Rock Castle jetzt erwacht. Mitsingen ist weniger möglich, da viele der englischen Sprache nicht mächtig sind. Projektleiter Tobias übt deshalb Tschechisch und das Publikum feiert ihn dafür. Das neue Album „A Paranormal Evening with the Moonflower Society“ ist natürlich mit dabei. Daraus die neue Single „The Wicked Rule the Night“ – erneut im Duett mit Ralph Scheepers – lässt die Bühne brennen. „The Scarecrow“ von 2008, folgt mit berüchtigt hohen Stimmlagen, die auch Tobias heute an seine Grenzen bringen. Eric Martin wird als „The King“ von Tobias für „Dying for an Angel“ angekündigt, und das Skelett auf der Leinwand spielt Geige. Stimmgewaltig pushen sich die beiden Topsänger im Duell. Jedes Lied ein Feuerwerk, man möchte über jedes Lied eine Ode schreiben. Dazu reichen die Zeichen und Zeilen nicht aus. Wenn Adrienne Cowan, die Backgroundsängerin, mit geballter female power growlt, bricht die Hölle los! Es fehlt nur noch Floor Jansen von Nightwish, welche auf dem neuen Album die Single „Misplaced Among The Angels“ mit Tobias Sammet performt. Auch der einsetzende Regen hält keinen mehr vom Tanzen ab. Eric Martin und Jørn Lande scherzen zu „Promised Land“ welches Land das wohl sei. Amerika? We will find out! Mit emotionaler Ansprache wird die Zugabe eingeleitet, „Lost in Space“, die bekannteste Hitsingle von Avantasia. Keiner stellt seine Band, seine Teamkollegen wertschätzender und persönlicher vor als Tobias Sammet.
Mit diesem Konzert endet das Festival für die Redaktion. Auf den letzten Festivaltag muss aus terminlichen Gründen verzichtet werden, auch wenn Guano Apes und Feuerschwanz bestimmt ein Hochgenuss gewesen wären. Dieses kleine aber feine Festival mit seinem interessanten Lineup verdient internationale Beachtung. Power- und Symphonic Metal Fans kamen hier auf ihre Kosten und wer Gemütlichkeit, Schatten und romantisches Ambiente schätzt, sollte sich im nächsten Jahr unbedingt auf den Weg ins Tschechische Moravský Krumlov machen.
Fotos: Doro Fernandez
Foto Header: Nuclear Blast – Kevin Nixon