Rhythmen des Lebens
Noch vor seinem Genesis-Kollegen Phil Collins hat ausgerechnet der eher als ruhig geltende Mike Rutherford sich als Schriftsteller versucht. „Rhythmen des Lebens“, im Original „The Living Years“, sollte allerdings eigentlich gar keine Autobiografie werden – eigentlich wollte Rutherford die von seinem Vater hinterlassenen Aufzeichnungen aus dessen Leben in Buchform bringen, entschied sich aber schließlich, die Parallelen zwischen seinem eigenen Vagabundenleben und dem seines Vaters zum Zentrum des Buches zu machen und landete somit dann doch bei einer [i]fast[/i] konventionellen Autobiografie.
[i]Fast[/i] deshalb, weil immer wieder eingeschobene Passagen aus den Tagebüchern seines Vaters auftauchen. Die stören beim ersten Lesen zwar den Fluss, entpuppen sich aber spätestens beim zweiten Durchgang als überraschend nah an dem, was Mike Rutherford selbst erlebte. Von den vielen Reisen, der Vater als Soldat, der Sohn als Musiker, über diverse Kommunikationsprobleme erfährt man in den Worten von Rutherford Senior genauso viel über Mike wie in dessen O-Tönen. Die sind in der Tat recht unterhaltsam geschrieben – so man denn die britische Trockenheit des Autors abkann. Mike Rutherford lässt aber genug ebenso staubtrockenen Humor einfließen, was das Buch vielleicht nicht zum echten Pageturner, aber die 288 Seiten in jedem Fall zu einer kurzweiligen und unterhaltsamen Angelegenheit werden lässt. Allzuviel Privates mag auch er nicht preisgeben, speziell die dunkleren Phasen werden komplett ausgespart, doch dafür erfährt man, welches Genesis-Mitglied welche Drogen bevorzugte und welche von derlei bösem Zeug generell fern blieben. Nicht überraschender Spoiler: einer der beiden Abstinenzler heißt Tony Banks. Rutherfords eigener Zwiespalt zwischen seiner feierwütigen Hippie-Seite und seiner erzkonservativen „posh“-Seite als Sohn aus gutem Hause zieht sich durch das ganze Buch, von den ersten „walks on the wild side“ in den 1960ern gemeinsam mit Anthony Phillips bis zum Versuch, Familie und Tourexzesse zu vereinbaren. Dem Rahmen der erzählten Geschichte folgend, konzentriert sich „Rhythmen des Lebens“ auf die Zeit bis 1986, da in diesem Jahr auch Mikes Vater starb – während Mike gerade mit Genesis seine kommerziell erfolgreichste Phase erlebte. Die Zeit danach wird lediglich auf den letzten paar Seiten kurz angerissen, über das letzte Genesis-Album „Calling All Stations“ gibt es gar nur einen einzigen kargen Abschnitt zu lesen.
Das Einzige, was der Zielgruppe sauer aufstoßen könnte, ist, das Rutherford oftmals einen ziemlich, nun ja, verbitterten Eindruck macht. Die vielen persönlichen Angriffe auf Tony Banks und (in geringerem Maße) Steve Hackett wundern den Leser womöglich nur. Dass Rutherford allerdings auch deren musikalische Beiträge zu Genesis zu schmälern versucht, wirkt schlicht neidisch – gerade, weil jeder andere Genesis-Musiker freimütig zu Protokoll gibt, dass eben vornehmlich Tony Banks und seine Kompositionen das musikalische Herz von Genesis darstellten. Allerdings lässt sich Rutherford im Laufe des Buches auch mehrfach darüber aus, wie wenig er generell von den Genesis-Alben der 1970er hält und tut sowohl Ray Wilson als auch Steve Hackett als nicht besonders aktive oder talentierte Songschreiber ab. Da fragt man sich, warum dann ausgerechnet Wilson und Hackett seit den späten 1990ern als einzige Ex-Genesis-Mitglieder nach wie vor mindestens im Zwei-Jahres-Rhythmus gut- bis erstklassige neue Alben veröffentlichen. Auch ist Ray Wilson das einzige ehemalige Genesis-Mitglied, das in der Dankesliste des Buches unerwähnt bleibt. Klar, es ist verständlich, dass der unauffällige Rutherford auf seinen eigenen – sicherlich enormen! – Einfluss auf Genesis hinweisen möchte, doch die Art, in der er dies tut, ist in diesem Fall nicht die vielzitierte „feine englische Art“.
Trotz – oder auch gerade wegen! – der unzensierten unsympathischen Momente kann man „Rhythmen des Lebens“ Genesis-Fans definitiv ans Herz legen, da man schon ein ganz gutes Bild des Menschen hinter der Musik vermittelt bekommt. Kollege Phil Collins hat seine Autobiografie zwar sowohl amüsanter als auch abgründiger gestaltet, aber das zeigt eben das Dilemma des Mike Rutherford: irgendwer in seiner Band kam immer an und machte es nochmal besser oder/und erfolgreicher…