Remind Me Tomorrow
Das Chaos herrscht nur auf dem Coverfoto. Ansonsten hört man ‚Remind Me Tomorrow‘ die Hektik nicht an, die in Sharon Van Ettens Leben geherrscht hat, als das Album entstand. Als Musikerin arbeitete sie an diversen Soundtracks mit, begann zu schauspielern, studierte nebenbei Psychologie und wurde zudem auch noch Mutter. Jede Aufgabe für sich allein würde den Alltag eines Menschen völlig auslasten – Van Etten nahm währenddessen noch ein Album auf.
Eines, das sich in so eindrucksvolle wie wichtige Veröffentlichungen von Frauen einreiht, wie sie in jüngster Zeit von Anna Calvi, Emma Ruth Rundle oder Sophie Hunger kamen. Ähnlich wie bei Letzterer und deren Abum ‚Molecules‘ rückt die Gitarre, die anfangs für Van Etten so charakteristisch war, zugunsten verschiedenster elektronischer Einlagen in den Hintergrund. Mit diesem Gerüst ist ein Album entstanden, das einerseits auf die innere Ruhe verweist, mit der die Songwriterin ihr ereignisreiches Leben in der Balance hält. Und das andererseits genau die Herausforderungen spüren lässt, mit denen sie es – genauso wie ein Jeder von uns – tagtäglich zu tun hat.
Die Grundlage von ‚Remind Me Tomorrow‘ bilden wunderschöne Melodien, par excellence in ‚No One’s Easy To Love‘ oder ‚Jupiter4‘. Kitschig könnten diese wirken, bekämen sie nicht durch abwechslungsreiche Arrangements sowie Van Ettens bisweilen trotziger Gesang etwas Kantiges. Zudem verschaffen die geschickt eingesetzten elektronische Elemente den Songs etwas sehr Modernes. Im Gegensatz zur Zeitlosigkeit von Rock- bzw. Folk-Songs, denen Van Etten auf ihren bisherigen Alben näher war, platziert sie ihre neuen Stücke ganz bewusst in die heutige Zeit.
So persönlich die Motivationen für das Album für Sharon Van Etten gewesen sein mögen, so allgemein gültig sind doch seine Brüche. In jedem seiner Songs spiegelt sich mehr oder weniger deutlich die Schizophrenie unserer Tage wieder. Auf der einen Seite wirkt vieles zunächst wundervoll und klingt stimmig. Trotzdem gibt es etwas, das die Harmonie subtil, aber beharrlich stört. Leichte Dissonanzen sorgen für ein Unbehagen, das derzeit allgegenwärtig zu sein scheint. Wohl nicht zufällig wurde das lebendigere ‚Comeback Kid‘ als erste Single veröffentlicht, vereint es doch ein irgendwie nicht erklärbares Unwohlsein, das Viele heute verspüren, und besteht dennoch auf dem unbedingten Willen, selbiges ausgelassen wegzutanzen.
Selbst in dem so zauberhaften ‚Jupter4‘ schwingt unterschwellig etwas Bedrohliches mit. Der Song sei ein Fiebertraum, sagt Katherine Dieckmann, die das zugehörige Video gedreht hat. Das kann tatsächlich für das gesamte Album gelten. Hin- und hergerissen zwischen behaglich-schönen Motiven und nagenden Zweifeln hinterlässt es uns leicht verwirrt und nachdenklich. Und ist damit die perfekte Metapher für das Leben an sich.