Nurture
Allzu selten gerät die deutsche Musikpresse über die eigenen Landsleute ins Schwärmen. Hier führt man eher eine durchwachsene Beziehung mit dem Nachwuchs. Da gibt es die Deutschpoeten oder die deutschen Rocker, da gibt es die Techno-Crew oder die scheuen DJs. Alle bekommen einen Teil vom Kuchen der Anerkennung ab. Geht es aber aufs internationale Parkett, trauen die wenigsten der deutschen Liedermacherkunst. Als dann Sizarr mit ihrem Debüt ‚Psycho Boy Happy‘ den Ring betraten, schien sich eine totgeglaubte Einigkeit breitzumachen: die Jungs, die können auch international. Aus dem pfälzischen Dörfchen in die große Welt – klingt fast schon nach amerikanischer Erfolgsgeschichte. Nun stehen Sizarr vor dem altbekannten Zweitling, mit dem es sich zu beweisen gilt. Es würde nicht überraschen, sähen sich die drei blutjungen Schwaben der immensen Bürde noch nicht ganz gewachsen. Der Kopf blieb aber kühl, freigeseift vom Überflug und Allüren. So kam das dabei heraus: ‚Nurture‘. Ein Album, das Brücken schlagen soll.
Sizarrs Sound klingt dabei nicht unbedingt gereift, eher gefestigt. Wie eh und je paffen sie ihre Dunstwolke aus glamourösen 80er-Pop um ihr Synthesizer-Klanggerüst. Feine aber kleine Unterschiede lassen erkennen, dass sie nicht auf einem fast ausgetretenem Fleckchen Erde herumhacken, sondern den Boden fruchtbar halten wollen. In den eher minimalistisch gehaltenen Songs verstecken sie klingelnde Gitarrenriffs neben Regeneffekten und schieben ganz verschmitzt eine süßklebrige Klavier-Ballade (‚Untitled‘) dazwischen. Darüber zieht Fabian Altstötter seine dominante, wehklagende Stimme. Irgendwie immer noch gefangen zwischen Jugend und Erwachsensein in einem anhaltenden Reifeprozess stellt er die großen Fragen nach dem Schein, Sein und Sinn. Aufgepumpt mit pompöser Shakespeare-Lyrik.
‚We’re doomed to die alone / and I bristle and I moan / wondering who will succumb / in my foreamen magnum / dagger me / all you wishful thoughts.‘
(‚How Much For This?‘)
Da ist aber dieses Gefühl, das sich bis zum Schluss nicht lösen möchte. ‚Nurture‘ wirkt zu gewollt konstruiert. Es entsteht eine hübsche Perlenkette mit zehn Songs, bei der einer dem anderen zu sehr gleicht. ‚Clam‘ ist eine nette Anlehnung an 80er-Jahre Hymnen und auch ‚Timesick‘ ist mit seinem eingängigen Refrain sofort im Ohr. Keines der Lieder möchte sich hingegen mit dem gewissen Etwas schmücken. Alles verliert sich in einer Wulst aus Synthie-Pop, aufgemotzt durch ‚überraschende‘ Effekte am Rande. Und gerade dieser Einheitsbrei zeigt, dass sie zum Schluss vielleicht doch zu viel wollten. Einmal durchschütteln mag man sie. Herauskitzeln, was so kontrolliert hinter perfekt polierten Gitarrenriffs und Synthie-Hooks schlummert. Den Shakespeare entreißen möchte man und gegen ein Jugendsprachelexikon vertauschen. Vielleicht würden dann die Momentaufnahmen der komplizierten Sinnfragen an mehr Wahrhaftigkeit und vor allem Verständlichkeit gewinnen. Am besten klappt das auf dem erfrischenden ‚Slightly‘, das ganz nüchtern zeigt was einfache Liederkunst zu bieten haben kann.
Sizarr bringen uns nicht die absolute Offenbarung mit, dafür ein standfestes Folgewerk. Es steht ‚Psycho Boy Happy‘ in nichts nach, setzt aber auch keine wirklich große Schippe oben drauf. Eines haben die Jungs, äh Herren (ja, mittlerweile darf man auch Sizarr so nennen) bewiesen: Sie lassen sich nicht aus der Ruhe bringen und bieten der harten Industrie die Stirn. Gut so! Dann darf beim dritten Album auch ruhig mal auf den Putz gehauen werden.