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Now!

Da hat man mir doch kürzlich vorgeworfen, angeblich generell keinen skandinavischen AOR zu mögen. Ein kurzer Blick auf die Plattensammlung und die dort stehenden Alben von unter Anderem (natürlich) Europe, Treat, Skagarack, Fate, Brother Firetribe, Adrenaline Rush und Talisman sowie Verwandten wie Pretty Maids, Yngwie (Yngwie!) und TNT haben jeglichen Verdacht auf nationalistische Vorurteile relativ schnell entkräftet. Was ich hingegen überhaupt nicht abkann, ist die Welle an Bands, deren Verständnis von AOR „Spätneunziger-Boygroup-Sound-mit-Alibi-Leichtmetall-Gitarren“ entspricht – egal, woher sie stammen.

Wie man aber auch 2019 noch echt schmucken AOR spielen kann, zeigen die Schweden Roulette, die mit „Now!“ über dreißig Jahre nach Bandgründung den ersten echten Longplayer ihrer Karriere vorlegt. Und „Now!“ setzt sich zu keiner Sekunde dem erwähnten „Boygroup-Verdacht“ aus. Die Songs sind zwar, wie im Genre gefordert, enorm harmoniesüchtig, die schön raumfüllend klingenden Gitarren von Magnus Nelin und der angenehm raue Gesang von Thomas Lundgren erinnern aber jederzeit daran, dass Roulette eben doch deutlich im klassischen Rock verwurzelt sind. Neben den Kollegen von Brother Firetribe hört man beispielsweise auch Anleihen an die „Perfect Timing“-Phase von MSG, Bad Company mit Brian Howe, Magnum zu „Goodnight L.A.“-Zeiten oder die poppigeren Pretty Maids heraus. Dazu passt auch die angenehm warm ausgefallene Produktion des Albums, vom schrillen, höhenlastigen Klangbild von H.E.A.T. oder One Direction, äh, Desire ist „Now!“ gottlob ebenso weit entfernt wie von deren Schlager-Kitsch.

Dazu passt auch, dass Roulette unter den zehn Tracks keine einzige richtige Power-Ballade am Start haben. Das macht aber überhaupt nichts, denn Songs wie das Harem Scarem-mäßige ‚Never Enough‘, der Groover ‚Soldiers Of Love‘ und das balladesk startende, sich dann zu einer hymnischen Midtemponummer mit Treat-Flair entwickelnden ‚Secret Room‘ machen auch ohne Quoten-Schlüpferstürmer genug Spaß. Mit ‚The Only Way‘ ist dafür ein an die typischen Achtziger-Action-Film-Soundtracks erinnernder Breitwand-Pomprocker vertreten, der dafür mehr als entschädigt. Und ‚Another Night‘ könnte direkt ein Outtake des FM-Debüts „Indiscreet“ sein. Das Songwriting ist also auf durchweg hohem Niveau, und in der Tat ist auch das einzige wirkliche Manko, dass Roulette noch das letzte Quentchen Originalität fehlt, das sie in eine Reihe mit den Vorbildern setzen würde.

Roulette machen also mit ihrem Comeback ziemlich viel richtig und können sich durchaus mit den aktuellen Genre-Aushängeschildern Brother Firetribe messen. Die bieten zwar ein gutes Stück mehr Eigenständigkeit, Roulette haben dafür, sorry, Pekka!, den stärkeren Sänger. Wer also auf klassischen, Achtziger-lastigen AOR-Stoff europäischer Prägung steht, sollte sich das Album direkt auf den Einkaufszettel schreiben.

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