Night Of The Prog Festival 2017 – Zweiter Tag: Yes, we can!
Die Frage vorweg: Werden die Organisatoren und vor allen Dingen die Bands die hohe Qualität vom Vortag noch einmal toppen können? Wir sind sehr gespannt…
„Am Samstag strömen die Prog-Jünger schon zeitig wieder in die Arena, lassen sich im Areal der steinernen Sitzbänke nieder oder bauen weiter hinten auf dem ansteigenden Gelände im Gras ihre Liegestühle auf. Die Sonnne scheint wieder, und es wird den ganzen Tag über angenehm warm und vor allen Dingen trocken bleiben. Der liebe Gott muss ein Progger sein. Wie immer geht es auch heute an der Loreley sehr entspannt und relaxt zu. Und während so mancher noch bei den aufgebauten Merch-Ständen nach Festival-Shirts oder der einen oder anderen CD sucht, geht es um viertel nach zwölf unten auf der Bühne schon wieder los. Der zweite Festivaltag wird musikalisch von Eyevory eröffnet. Die Bremer Band dürfte den meisten unserer Leser schon bekannt sein, hat Whiskey-Soda doch Ende letzten Jahres die Tour des Quartetts präsentiert und ein spannendes Interview mit Sängerin Kaja Fischer und Drummer Arne Suter geführt, in dem sich die Band bereits sehr auf das Festival gefreut hat. Jetzt ist es endlich soweit, und Eyevory lassen sich nicht lumpen und geben alles.
Trotz der frühen Spielzeit sind schon jede Menge Fans im Areal und nehmen die Bremer mit ihrer Mischung aus Folk, Rock und sphärischen Klängen begeistert auf. Eyevory entführen die Festivalbesucher unter anderem nach „Inphantasia“, dem Reich der vergessenen Kindheit ihres aktuellen Plattenveröffentlichung. Damit startet der Samstag mit höchster Qualität, und wir sind sehr gespannt, wie es weitergeht.
„Die Kollegen/innen von Ashby hatten eine relativ kurze Anreise aus dem Ruhrgebiet. Das Quintett um Frontfrau Sabina Moser hat vor zwei Jahren sein Debütalbum „Fragmental“ veröffentlicht und liefert eine grundsolide Show ab. Wie Eyevory zuvor überzeugen auch Ashby mit einer starken Frauenstimme an den Vocals und setzen dem folkig-sphärenhaften Klängen der ersten Band des Tages jetzt etwas rockigere Klänge entgegen, treibend, energetisch und durchaus mitreißend. Zwischendurch werden kleine violette Rauchbomben gezündet und geschwenkt – genau passend zur Haarfarbe der Sängerin.
Karibow im Anschluß legen den Schwerpunkt zunächst eher auf klassischen AOR mit grooviger Melodieführung. Aber man spiele auch Prog, so versichert der sympathische Frontmann Oliver Rüsing immer wieder und teilt gleich zweimal die Länge des nächsten Songs vorab mit. Ja, 15 und 11 Minuten sind schon nicht schlecht, und es wird in der Tat auch (neo)proggig, wobei auch die AOR-Elemente der Stücke zu gefallen wissen. Die Mischung stimmt, und Rüsings Wortspiele sind auch meistens ganz ok („Wir haben einen Gastmusiker aus Sachsen…sogar am Saxophon!“ stellt er Marek Arnold von Seven Steps To The Green Door vor).
„Die schottische Band Comedy Of Errors haben wir euch zuletzt mit ihrem Album Spirit vorgestellt. Die Neo-Progger wandeln auf den Spuren von Marillion und IQ und Sänger Joe Cairney huscht wie ein Derwisch über die ganze Bühne und den Laufsteg. Er geht auf Tuchfühlung mit dem Publikum in der ersten Reihe und überzeugt stimmlich in den lauten wie in den leisen Passagen der dynamischen Songs. Am Schlagzeug sitzt heute übrigens ein Gastmusiker: Colin Fraser der schottischen Kollegen von Pallas übernimmt für den verhinderten Bruce Levick. Die Schotten stellen ihr im Juni erschienenes neues Album „House Of The Mind“ vor und hinterlassen begeisterte Zuschauer. Schon jetzt zeigt sich, dass die musikalische Qualität des Festivals auch dieses Jahr wieder sehr, sehr hoch anzusiedeln ist.
„Und so geht es auch weiter. David Cross ist den Fans insbesondere durch seine Arbeit für King Crimson bekannt, tritt heute aber natürlich im eigenen Namen zusammen mit seiner Band am Mittelrhein auf. Der Engländer war mit der Violine für die Prog-Wegbereiter Crimson tätig, spielt aber auch Viola, Mellotron und Piano. Am Schlagzeug mit dabei: Steven Wilson-Schlagzeuger Craig Blundell. Cross hat sich zudem heute Unterstützung mitgebracht: Am Saxophon steht 70-jährige David Jackson, der in den 70ern für die britischen Progger von Van der Graaf Generator gespielt hat. Jackson ist nicht nur ein hervorragender Musiker, der zeitweise auf zwei Saxophonen gleichzeitig (!) spielt, sondern auch eine richtige Ulknudel, die gerne Scherze mit ihren Kollegen auf der Bühne treibt. Damit macht der Auftritt nicht nur musikalisch großen Spaß. Die Setlist beinhaltet sowohl alte King Crimson Songs wie ’21st Century Schizoid Man‘ als auch Material der aktuellen eigenen Veröffentlichung „Sign Of The Crow“.
„Nach diesem wunderbaren Vorabend-Programm betritt nun Ray Wilson die Bühne. Der ehemalige Genesis Sänger ist auch Solo sehr erfolgreich und hat entsprechend eine große Fangemeinde im Areal der Freilichtbühne versammelt. Angekündigt hat der Schotte für heute „Genesis Classics“ sowie eine Special Show zum 20-jährigen Jubiläum des „Calling All Stations“ Albums. Wilsons Set besteht aus Highlights aus „Calling All Stations“, aber auch anderen Genesis-Songs und eigenem Material. Das ist nicht unbedingt immer alles wirklich progressiv, aber kommt bei den Fans natürlich dennoch gut an. So eröffnet den Abend beispielsweise mit ‚No Son Of Mine‘ und lässt später Songs wie ‚Carpet Crawlers‘ („I was not involved in the writing of that song, because I was only 4 years old then, that’s my excuse!“) und ‚Follow you, follow me‘ in einer aufgepeppten Folk-Version. Als Zugabe gibt es schließlich noch ein schniekes Cover von Peter Gabriels ‚Solesbury Hill‘.
Was soll man noch zum nächsten Act schreiben? Yes haben die Progszene in den 70ern revolutioniert und werden von unzähligen Bands als Vorbilder genannt. Samstagabend, Loreley, inzwischen wieder bestes Sommerwetter, Prog-Festival, was gibt es da Schöneres als Yes? Nicht viel, auch wenn wir es natürlich genau nehmen wollen: Jon Anderson, Trevor Rabin und Rick Wakeman haben alle mal bei Yes gespielt und sich jetzt neu formiert, wobei sie sich aus namensrechtlichen Gründen zunächst ARW nennen mussten, da Steve Howe immer noch die Namensrechte an Yes besitzt.
„Inzwischen dürfen sich die Herren ganz offiziell als Yes: Featuring Anderson, Rabin, Wakeman bezeichnen, und unter diesem Namen sind sie heute auch an der Loreley vertreten. Aber genug der namensrechtlichen Verwirrung, wichtig ist heute doch nur, dass heute drei große Musiker (plus Gäste an Bass und Schlagzeug) eine der wichtigsten und einflussreichsten Bands der Geschichte der progressiven Rockmusik würdig vertreten.
Schon beim Opener ‚Cinema‘ und ‚Perpetual Change‘ wird deutlich, dass etwas ganz Großes bevorsteht. „Yes featuring Anderson, Rabin and Wakeman“ spielen die andere Yes-Formation mal eben locker und problemlos an die Wand. Mit einem präzisen und sehr druckvollen Sound überrollen sie die Loreley mit einem 135-Minuten-Konzert der Extraklasse. ‚All Good People‘, ‚And You And I‘, ‚Changes‘, als Zugabe ‚Roundabout‘, es ist eine gelungene Setlist mit vielen Klassikern. Der Radiohit ‚Owner Of A Lonely Heart‘ darf natürlich auch nicht fehlen. Nur einmal stockt dem Publikum kurz der Atem, als Anderson über ein Kabel auf der Bühne stolpert. Aber alles ist gut, es ist nichts passiert, und Band und Publikum schwelgen durch ein Konzert, das ganz sicher in die Geschichte des Festivals eingehen wird. Yes beweisen, dass sie in dieser Formation immer noch die Speerspitze der progressiven Rockmusik sind.
„Es wird hoch emotional, wenn Jon Anderson den verstorbenen Chris Squire würdigt und Bassist Lee Pomeroy ein langes Solo zu seinen Ehren spielt. Ein wunderbarer Abend endet mit einer Show, die für viele heute schon das Highlight des Festivals gewesen ist, und überall sieht man strahlende und zufriedene Gesichter, als die Menge nach Mitternacht wieder einmal vom Gelände pilgert. Konnten wir den Freitag noch einmal toppen? Yes!
Eine Fotogalerie mit den Highlights des zweiten Tages findet ihr hier auf unserer Facebook Seite.
Bericht und Fotos: Michael Buch