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In Amazonia

Ich könnte mich wirklich durchaus mit der Idee anfreunden, künftig im Jahreswechsel ein pures Isildurs Bane-Album und ein Kollaborations-Album mit einem Sänger zu bekommen. Offenkundig hat das schwedische Ensemble um Mastermind Mats Johansson im Moment einen „Lauf“, den man in der langen Pause nach dem „MIND“-Zyklus definitiv nicht mehr erwartete hätte. Nachdem das letzte Kollaborations-Projekt „Colours Not Found In Nature“ mit Marillions Steve Hogarth eingespielt wurde, hat man sich für „In Amazonia“ nun mit Peter Hammill eine echte Lichtgestalt der ersten Prog-Generation an Bord geholt.

„A match made in heaven“, sagt man ja gerne, und selten trifft das so sehr zu wie bei dem Exzentriker-Gipfeltreffen auf „In Amazonia“. Wo Steve Hogarth sich eher lautmalerisch im Klangkosmos der Band einordnete und den Gesang eher als zusätzliches Instrument einsetzte, baut Hammill zusätzliche Melodielinien, die oft vordergründig gar nichts mit dem musikalischen Unterbau zu haben scheinen, sich aber beim zweiten oder dritten Hören als kongeniale Ergänzung entpuppen. Anders gesagt: Hogarth hat das von Isildurs Bane gemalte Bild bunt ausgemalt, Hammill einfach sein eigenes Bild drübergemalt. Welche Herangehensweise besser gefällt, ist persönliche Ansichtssache, fraglos ist aber „In Amazonia“ melodischer und, nun ja, eingängiger ausgefallen. Vorausgesetzt, man kann mit dem expressionistischen Gesang Hammills etwas anfangen – Robert Fripp hat ihm ja einst bescheinigt, „für die Stimme getan zu haben, was Hendrix für die Gitarre getan hat“. Das kann man auch heute noch so stehen lassen. Es gibt wohl keinen Sänger, der Atonales und rhythmisch Gebrochenes so melodisch und emotional klingen lassen kann wie der Van Der Graaf Generator-Vordenker. Wobei er sich tatsächlich heuer relativ gemächlich gibt – entmenschte Ausbrüche sucht man hier vergeblich, und auch sein, sagen wir, unkonventionelles Falsett setzt er nur beim Höhepunkt von ‚This Is Where?‘ kurzzeitig ein.

Und Isildurs Bane bieten dafür den perfekten Hintergrund. Von neoklassischen Piano-Klängen über Jazzrock, von symphonischem Prog zu (vermeintlich) straighten Rock-Grooves und vom Industrial-beeinflussten, schroff-kalten Sounds wird wieder einmal alles aufgefahren, was man sich so vorstellen kann. Da hört man Spurenelemente von King Crimson, Frank Zappa, Genesis, Karl-Heinz Stockhausen, Edgar Varese, Miles Davis (in seiner Fusion-Ära), Nine Inch Nails, Peter Gabriel, Van Der Graaf Generator (duh!) oder Scott Walker in vollkommen unerwarteter und höchst origineller Mixtur gemischt mit einer höchst eigenen, wiedererkennbaren Kompositionssprache – unterm Strich also einfach Isildurs Bane, wie immer und somit komplett anders als zuvor. Dem Albumtitel entsprechend rücken diesmal die World Music-Elemente ein wenig nach vorne, was das Album relativ groovig wirken lässt – relativ, versteht sich.

IB- und Hammill-Fans greifen hier natürlich sofort zu, das ist keine Frage. Aber auch diejenigen, die durch David Bowies „Blackstar“ Spaß an unkonventioneller Musik gefunden haben, sollten hier definitiv zumindest eine Hörprobe wagen. Auch wenn Bowies düsterer Abschied im Vergleich zugegeben doch noch ein gutes Stück kommerzieller und traditioneller klang, ist das Flair von „In Amazonia“ durchaus ähnlich, und auch Hammills Texte gleichermaßen apokalyptisch und verklausuliert. Das bringt uns zur großen Frage: wie wollen Isildurs Bane das hier noch toppen, wenn Bowie und Walker leider nicht mehr unter uns weilen?

Zu beziehen ist das Ausnahmealbum im Webshop von Just For Kicks.

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