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Im Argen

Sammer. Detlef Sammer … – Moment, ich hab’s gleich – … Scheiße … ja, wer war denn das noch gleich? In quälender Langsamkeit zwängen sich Tropfen aus dem maroden Wasserhahn. Eine Fledermaus kackt. Jemand raucht in der trockenen Heizungsluft; unruhige Jazzbesen streichen mit dem Qualm die bröckeligen Wände an. Detlef Sammer ist es nicht; der liegt schon unter der Erde, vor ihm ein schäbiger Grabstein, und über ihn beugt sich ein Trupp abgehalfterter Typen, die Musik machen, es aber wohl auch dann nicht zeitig zur Beerdigung geschafft hätten, wenn es wirklich angepeilt gewesen wäre. Von ihren schlaffen Mänteln rinnt Staub. Ja, rinnt. Kopfkino, das einem David Lynch gefallen würde. Und wer hat’s gemacht? Radare.

Nur, um eben das vorschriftsmäßige Wortspiel abzuhaken: Auf Album Nummer drei liegt einiges ‚Im Argen‘. Was genau, wird aber gekonnt ausgeschwiegen. Die Wiesbadener Kombo ergeht sich in lakonischem Minimalismus. Wären Radare ein Bonbon, dann auf alle Fälle Karamell: Schlurfiger Jazz, ausgedehnte, weit streuende Spielpausen, und wenn ausnahmsweise doch mal eine Gitarre zum Einsatz kommt, dann in seelenruhig und maßvoll dahingeblätterten Akkorden. Der warme Trab erinnert zuweilen an die narrative Gemächlichkeit von Mogwais ‚The Hawk Is Howling‘, knüpft aber in seinen jazzigeren Momenten immer wieder auch an die späten Bohren & der Club of Gore an. Doom-Jazz sagen manche dazu, die Band selbst nennt es lapidar ‚Slow‘; handfester wird die Angelegenheit dadurch nicht.

Gehen wir es also anders an. Radare, so ließe sich sagen, leisten keinen geringeren und keinen anstrengenderen Dienst, als zu beweisen: Wenn die Traurigkeit ihr Lähmendes verliert, entpuppt sie sich als freigiebiges Brutmilieu. Mit Halskloß und Holzklarinette (des schleichenden Todes) als Katalysator. Gemächlich rotieren die Radare, senden, peilen nichts Ersichtliches, lassen die Basslines zerfließen, streifen sie mit hypnotischen Orgel-Licks und feiern die tragende Thermik des immerwährenden Ritardando. Nicht anmaßend, nur mitreißend. In Superzeitlupe, sodass man die Nägel splittern sieht, während die Tristesse an der anderen Seite zieht – mit der Langsamkeit, aber auch der Konsequentheit eines Schraubstocks. Nur die Härte, die fehlt.

Einzig in ‚Burroughs‘ könnte einem der Gedanke kommen, den Jazz-Besen führe eine mitunter unruhige Hand. Doch auch diese Aufwirbelung hat sich schnell wieder gelegt, und das trügerischer Weise Action und Hochgeschwindigkeits-Kollisionen verheißende Cover-Artwork gelangt nicht auch nur in Sichtweite dieser zähen Oden an die Stasis. Tragisch ist das nicht – zumindest nicht künstlerisch. Denn: Kaum eine andere Form der Ereignislosigkeit, des Non-Happenings zieht so stark in ihren Bann wie eine Radare-Partitur. Das muss man einfach mal so festhalten. Würde sicher auch Detlef Sammer so sehen. Wer immer er auch war.

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