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Hate über alles

Jede*r kennt dieses unangenehme Gefühl: Beim Sparziergang wird eine kleine Kante oder Baumwurzel übersehen und der große Zeh knallt gegen sie. Unweigerlich kommt man ins Stolpern ohne hinzufallen. So ungefähr ergeht es beim Lesen des Titels des neuen Kreator-Albums „Hate über alles“ (Nuclear Blast). Die Mischung aus Englisch und Deutsch liegt beim Aussprechen quer im Mund. Vermutlich benötigt es aber nur einen Gewöhnungseffekt, der beim legendären Lied „California über alles“ von den Dead Kennedys längst eingetreten ist. Immerhin hat Kreator-Chef Mille zugegeben, dass der Albumname von den Amerikanern inspiriert ist.

Der Slogan „Hate über alles“ besitzt natürlich auch eine inhaltliche Komponente. Es geht um den Hass im Internet und wie die virtuelle Realität unser reales Dasein beeinflusst. Denn mit Hass im Netz hat Frontmann Mille viele Erfahrungen gemacht, beispielsweise als Reaktion auf einen antirassistischen Post oder der Bekanntgabe seiner Corona-Impfung. Kritik an solchen Statements kann er nicht nachvollziehen, da für ihn Metal schon immer politisch war. Diese Ansicht machen Kreator auch auf „Hate über alles“ deutlich. Nicht umsonst haben Kreator das Intro des neuen Longplayers dem Italo-Western-Regisseur Sergio Corbucci (u.a. „Django“, „Leichen pflastern seinen Weg“) gewidmet, der in seinen Filmen subversiv autoritäre Tendenzen kritisierte. Hinzu kommen Lieder wie der bereits erwähnte Titeltrack oder „Dying Planet“, welches sich die Klimakatastrophe thematisiert.

Musikalisch haben Kreator in den letzten Jahren auf modernen Thrash-Metal mit eingängigen und mitsingbaren Melodien gesetzt. Das brachte ihnen überraschend viel Erfolg ein, sodass sie derzeit weltweit eine der größten Bands ihres Genres sind. Kein Wunder also, dass sie diesen Weg auf „Hate über alles“ konsequent fortsetzen. Das geschieht mal als schnelle Nummer wie in „Hate über alles“, „Killer of Jesus“, „Conquer and Destroy“ oder „Demonic Future“ oder als typischer Mid-Tempo-Neckbreaker á la „Strongest of the Strong“ oder „Crush the Tyrants“. Allerdings sind gerade die letztgenannten Nummern recht eindimensional und vorhersehbar komponiert, sodass sie zu den Schwachpunkten der Platte gehören.

Stärker als auf den Vorgängern ist der Einfluss des klassischen Heavy Metals sowie der NWoBHM wahrzunehmen. So schöne Twin-Gitarren wie in „Demonic Future“ oder „Strongest of the Strong“ waren seit Iron Maidens „Somewhere in Time“ nicht mehr zu hören.

Völlig überraschend kommt „Midnight Sun“ daher. Als schneller Thrasher startend driften Kreator in einen melodramatischen Refrain ab. Dieser wird durch die deutsche Sängerin Sofia Portanet intoniert, wodurch erstmals in der Geschichte von Kreator eine Frau auf einem ihrer Alben zu hören ist. Ein weiteres Highlight ist das abschließende „Dying Planet“. Es baut langsam eine düstere Atmosphäre auf, um sich immer weiter zu steigern, mit dem Tempo zu variieren und in einem intensiven Spoken-Word-Part zu enden.

Kreator setzen auf „Hate über alles“ ihren derzeitigen Weg konsequent fort. Dabei fällt die Platte nicht so kompromisslos wie der Vorgänger „Gods of Violence“ aus. Dafür gibt es einige Überraschungen und Feinheiten, die dafür sorgen, dass die Tracks mit mehrmaligem hören immer weiter und weiter wachsen, so dass der Longplayer langfristig überzeugen dürfte.

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