Experiment mit Harfe: New Model Army in Begleitung des Orchesters Sinfonia Leipzig
42 Jahre Bandgeschichte. Und selten handelte es sich bei New Model Army um business as usual. Immer waren und sind sie für besondere Konzerterlebnisse gut. Anlässlich ihres 20-jährigen Jubiläums haben sie einst die zur Tradition gewordenen Zwei-Abende-Doppelkonzerte erdacht. Im April 2018 gab es zudem The Night of a Thousand Voices, ebenfalls ein zweiteiliges explizites Mitsingkonzert in der Londoner Round Chapel, dessen Aufnahme auch als Album erschienen ist. Und nun ist die Band aus Bradford – aktuell in Vierer-Besetzung ohne Gitarrist Marshall Gill – mit dem Orchester Sinfonia Leipzig aufgetreten.
Draußen vor dem Berliner Tempodrom sah am Abend des 15. Juli noch alles ganz normal aus. Von allen Seiten näherte sich eine ansehnliche Masse an Leuten, zum allergrößten Teil schon in die Jahre gekommen und bekleidet mit NMA-Shirts aller Band- und Albumphasen. Manche trafen aus dem gegenüberliegenden Edel-Hotel ein – zumeist Briten, die in großer Zahl extra für den speziellen Gig angereist sind. In der Halle herrschte dann eine maßvolle, fast andächtige Atmosphäre. Jede/r suchte seinen Sitzplatz im Innenraum oder in den Rängen und wartete höflich auf das, was da kommen mag.
Dies vermochten nicht einmal die Mitwirkenden selbst vorauszusehen. Dies ließ Sänger Justin Sullivan verlauten, nachdem es um Punkt 20 Uhr mit einer sinfonischen Variation von „Green and Grey“ losgegangen war und Orchester und Band dann mit „Devil’s Bargain“ das erste gemeinsame Stück gespielt hatten. Ganze zwei Tage habe man zum Üben gehabt, sollte das Publikum später noch erfahren, und überhaupt begaben sich New Model Army mit der Begleitung durch die Sinfoniker auf unbekanntes Terrain. Sicher, die Diskografie der Briten weist zahlreiche melodiestarke Songs mit orchestertauglichen Keyboard-Parts auf. Die Setlist des Abends sah aber nicht nur solche naheliegenden Stücke vor. Die erste Hälfte gestaltete sich erstaunlich rockig und hatte wenig Balladen auf dem Programm, worauf sich viele Fans aber offenbar eingestellt hatten. Vorhersehbar war an diesem Gig also so ziemlich nichts, und entsprechend schienen sowohl Band als auch Zuschauer großen Respekt zu haben vor dem, was da gerade passierte.
Lange war sich das Publikum im Tempodrom uneinig darüber, ob es mitklatschen und sogar mitsingen oder doch durch „Schschsch“-Geräusche lieber absolute Ruhe einfordern sollte. Diese Frage stellte sich an den folgenden beiden Abenden im SO36 freilich nicht. Da feierten die Leute von Anfang bis Ende begeistert durch und hielten ihre emotionalen Ausbrüche nicht zurück. Die sehr schnell ausverkauften Gigs waren als Stripped-back punk rock shows angekündigt, und tatsächlich waren beide komplett unterschiedlichen Setlists gespickt mit alten Stücken und minimalen Arrangements. Der Samstag ging los mit „Bittersweet“, den Auftakt zum Sonntag machte „Christian Militia“. Zu Gehör kamen etwa „Ambition“, „The Hunt“, „A Liberal Education“, „Whirlwind“, „Lust For Power“ oder „225“. Von den aktuelleren Alben gaben New Model Army „Today Is A Good Day“, „Die Trying“, „Into The Wind“ oder auch „Never Arrinving“ zum Besten.
Auch im Tempodrom umfasste die Songauswahl alle Schaffensperioden, und es waren viele Songs älteren Datums zu hören. „Shot 18“ wurde von Sullivan selbst als Überraschung angekündigt, und dank Bläsereinsatz bekam das Stück einen echten Bigband-Charakter. Die Orchesterarrangements passten super zu „Innocence“, „Orange Tree Roads“ oder „Ocean Rising“ und sorgten bei „Did You Make It Safe“ und „More Empty Than The Sky“ für starke Momente. Andere Songs hingegen vertrugen das pompöse Gewandt aber weniger gut. „Devil“, gleich das zweite Stück auf der Setlist, kam etwas schwammig rüber. „Too Close To The Sun“ saß nicht richtig, auch bei „ Green And Grey“ waren Unsicherheiten zu merken. Und „March In September“, das an sich schon einen schrägen Beat hat, wirkte wie ein großes Durcheinander.
Es zeigte sich, dass auch für eine liveerprobte Band das Zusammenspiel mit einem Orchester noch einmal eine ganz andere Liga ist. Die Einsätze waren für Sullivan manchmal schwer zu finden, was er aber in charmanter Weise zu kommentieren wusste. Bei einigen Songs ging der Gesang aber schlicht unter. Die gesamte erste Konzerthälfte hindurch war das Schlagzeug zu mächtig, Gitarre und Bass hingegen zumeist gar nicht wahrzunehmen. Die Fangemeinde, treu und ergeben wie bei kaum einer anderen Band, störte sich daran allerdings wenig. Sullivan hielt einen guten Kontakt zum Saal, die Leute ließen sich von der speziellen Atmosphäre tragen und feierten die Band in gewohnter Weise.
Erst im SO36 aber wirkten Band und Fans dann wieder wie Fische im Wasser. Beide Abende hatten das, was New Model Army-Konzerte auszeichnet: textsichere Singalongs, verschwitzte Körper, Menschenpyramiden und Sullivans irren Blick, wenn er ganz tief drin ist in seinen Texten. Den direkten Vergleich, was so unterschiedliche Arrangements mit einem Song machen, bot „1984“, der sowohl am Freitag im Tempodrom als auch am Samstag im SO36 gespielt wurde. Erst am zweiten Abend kam dabei der Bass richtig zur Geltung und mit ihm die Erkenntnis, dass es mehr für einen NMA-Song fast nicht braucht.
Sicher, auch im Tempodrom wurde am Ende getanzt. In „Purity“ stimmte dann doch der ganze Saal mit ein, und für „Vagabonds“ spielte sich die erste Geigerin die Seele aus dem Leib. Standing Ovations waren obligatorisch. Das Fazit dieses sehr besonderen Wochenendes kann daher lauten: Das vom Orchester begleitete Konzert war ein interessantes Experiment. Eine Harfe ist für die Songs dann aber doch ein bisschen viel. New Model Army waren, sind und bleiben einfach eine Rockband.