Equinoxe Infinity
Genau wie Kollege Mike Oldfield macht es sich Jean Michel Jarre mit seinem aktuellen Album unnötig schwer. Denn wenn eine Scheibe als Fortsetzung eines Klassikers angekündigt wird und dann ein Titel wie „Equinoxe Infinity“ (oder im Falle Oldfield „Return To Ommadawn“ und „Tubular Bells XXVII“) im Raum steht, steigen bei den langjährigen Fans automatisch die Erwartungen. Wenn das entsprechende Album nicht so klingt, wie man das dank der Verbindung zum „Original“ gerne hätte, ist das Gejammer groß.
Wenn man aber ein wenig realistischer und kühler an die Sache herangeht, ist „Equinoxe Infinity“ natürlich kein Standards setzender Elektro-Meilenstein wie 1978 „Equinoxe“, aber ein ziemlich gelungenes Stück Old-School-Elektronik, das zudem zu den besseren Alben gehört, die Jarre nach „Zoolook“ gemacht hat – das immerhin auch schon 34 Jahre her ist. Natürlich hat das Original diese eigenartige und unschlagbare Atmosphäre, die hier ebenso natürlich nicht wiederholt werden kann – doch eigentlich versucht Jarre auch gar nicht, „Equinoxe“ zu klonen, obwohl durchaus ein paar Fragmente und Sounds aufgegriffen werden. Was er aber erfreulicherweise auch nicht mehr versucht, ist sich musikalisch dem Zeitgeist anzubiedern. Selbst das einzige tanzbare Stück ‚Infinity‘ klingt eher nach „Ibiza 1993“ und leider auch ein wenig nach Mr. President (sorry, Jean Michel…). Aber keine Sorge: der Rest der Scheibe ist so typischer JMJ-Sound, wie es nur irgend geht, ohne wirklich bei sich selbst abzukupfern. Seine Melodien waren schon in den Siebzigern eingängiger, kommerzieller als die von, sagen wir, Tangerine Dream oder Klaus Schulze und auch deutlich verspielter und freundlicher als die von Kraftwerk und (erst recht!) Suicide. Die übliche „das ist ja nur Kitsch!“-Fraktion wird deshalb auch hiermit nicht vom Gegenteil überzeugt werden. Das betont old-schoolige Klanggewand dürfte aber dafür mit Sicherheit einigen „Neulingen“ gefallen, die beispielsweise durch Daft Punk oder die Soundtracks zu „Stranger Things“ und „Thor:Ragnarok“ Spaß an der nicht tanzbaren Sparte der elektronischen Musik gefunden haben. Und damit ist Jarre vielleicht sogar unabsichtlich näher am Zeitgeist als er beabsichtigt hat: denn auch wenn er seine Jünger nicht komplett toppen kann, spielt er 2018 aber über weite Strecken wieder in der selben Liga mit.
Wer also Jarre oder Vangelis oder den frühen Kitaro mag, findet hier ein schönes, soundtrackartiges Album mit viel fluffigen Wolken und hypnotischen Sequencern plus gelegentlichen Vocoder-Experimenten a la „Zoolook“, zugegeben ohne große Höhepunkte, aber eben auch mit nur einem Ausfall in Form von ‚Infinity‘. Man sollte sich am Besten vorm Hören von den Erwartungen lösen, die der Titel aufkommen lässt – dann steht „Equinoxe Infinity“ auch grundsolide auf seinen eigenen Beinen. Mehr sollte man von einem Künstler im siebzigsten Lebensjahr, der über Jahre als Innovator tätig war, auch nicht verlangen – „nötig“ hat Jarre sowieso nichts mehr, und so freut man sich als JMJ-Hörer eben 2018 über ein gelungenes Alterswerk, egal, wie es heißt.