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Die zweite Staffel der Tankard-Reissues

In turbulente Zeiten veröffentlichten Tankard ihr viertes vollständiges Studioalbum. Die DDR bröckelte nach dem Mauerfall munter vor sich hin, und Freiheit für alle schien in beiden Teilen Deutschlands für ein paar Wochen zumindest nicht nur pure Utopie zu sein. Die UDSSR wurde „demokratisch“ und zersplitterte, die Apartheid in Südafrika war vorüber, der Nicaragua-Boykott der USA fand ebenfalls zum Ende – genauso wie der kalte Krieg. Dafür gab es eine Fatwa gegen Salman Rushdie, in der BRD erstarkten NPD und Republikaner als Symptom einer generellen Akzeptanz rechten Gedankenguts. In Peking wurde gewaltsam der Tian’anmen-Protest niedergeschossen, weitere Gewaltwellen gab es in El Salvador. Papst Johannes Paul II predigte weltfern gegen Verhütung und generell zurück ins Mittelalter, sein zukünftiger Erbe Kardinal Ratzinger verhängte „Satanist“ Alice Cooper in Bayern ein Auftrittsverbot. Judas Priest standen wegen des Selbstmordes zweier Teenager vor Gericht, und die legendäre Kult-Doku „Ihr Kinderlein kommet“ machte den Metal zum Buhmann für alles, was so falsch lief im Land der Konservativen – und machte uns erstmals mit Ossie Ossbörn bekannt. Da fragten sich nicht nur Tankard plötzlich nach dem Sinn des Lebens.

TankardMeaningOfLife.jpg „Neben gesellschaftskritischen Songs wie ‚Wheel Of Rebirth‘, ‚Mechanical Man‘, ‚Dancing On Our Graves‘ und dem Titelsong hatte „The Meaning Of Life“ aber auch nach wie vor typische Sachen wie ‚Beermuda‘ zu bieten. Auch musikalisch präsentierten sich die Frankfurter deutlich gereift. Das Tempo wurde stärker variiert, und Neuzugang Arnulf Tunn am Schlagzeug (er hatte im Vorjahr Urdrummer Olli Werner ersetzt) erwies sich gerade in dieser Hinsicht als Bereicherung. Gerres Gesang lotete die Extreme nicht mehr so brutal aus wie noch auf dem Vorgänger, in Songs wie speziell ‚Open All Night‘, ‚We Are Us‘ und ‚The Meaning Of Life‘ gab es für Tankard-Verhältnisse überraschend melodische Refrains zu hören. Das Ganze wurde aber so homogen und hochwertig verarbeitet, daß es auch von Seiten der konservativsten Fans keine „Sellout!“-Rufe zu vernehmen gab. Als Metal-Fan war man damals ehedem froh, wenn eine Thrashband sich nicht im Fahrwasser von „…And Justice For All“ und „South Of Heaven“ in tranige Midtempogefilde begab, und Tankard waren nach wie vor auf einem gnadenlosen Höhenflug.

TankardStoneColdSober.jpg „Seinen ersten Knick erfuhr der aber mit dem 1992er Nachfolger „Stone Cold Sober“. Traditioneller Metal und speziell Thrash Metal waren kommerziell gesehen auf dem absteigenden Ast, Death Metal, Grunge und Groove Metal a la Pantera regierten das Geschehen. Letztere hinterließen auch in Frankfurt ihre Spuren: die unverkennbare Pantera-Klicker-Bassdrum zieht sich auch durch „Stone Cold Sober“. Im Gegensatz zu vielen Anderen (im gleichen Jahr gab’s beispielsweise auch Kreators „Renewal“ zu verdauen) nutzten Tankard diese Elemente zwar nur als Farbtupfer, doch unterm Strich wirkt „Stone Cold Sober“ nach den bärenstarken Vorgängern etwas zahnlos. Mit Ausnahme des deutschsprachigen Punkrock-Songs ‚Freibier‘ setzte sich keiner der Songs dauerhaft in der Setlist fest, und auch wenn ein echter Ausfall immer noch nicht zu finden ist, können Songs wie ‚Broken Image‘ und ‚Stone Cold Sober‘ leider nicht mit den Highlights der Vorgänger konkurrieren.

TankardTwoFaced.jpg „Noch mehr moderne Sounds gab’s auf dem Nachfolger „Two-Faced“. Nun klang nicht nur die Bassdrum nach Pantera, auch die Riffs klangen nicht selten mal nach Dimebag Darrell und Konsorten – beispielsweise im Opener ‚Death Penalty‘ oder dem bis heute regelmäßig gespielten Ohrwurm ‚Nation Over Nation‘. Auch textlich gab sich die Band ungewohnt düster, abgesehen vom Strassenjungs-Cover ‚Ich brauch‘ meinen Suff‘ gab’s diesmal überhaupt keine Sauftexte, und auch der Humor fand sich diesmal eher in sarkastisch bis zynisch anmutenden Kommentaren wie ‚Mainhatten‘. Abgesehen davon mußte man Tankard aber zugestehen, daß ihnen die Modernisierung durchaus gut zu Gesicht stand und wohl auch verhinderte, daß das Bier schal wurde. Dazwischen gab es mit typischen, angepunkten Riffern wie ‚R.T.V.‘ und dem melodischen ‚Betrayed‘ immer noch genug traditionellen Tankard-Stoff, der die immer kleiner werdende Thrashgemeinde perfekt bediente. Generell war die Hitquote wieder deutlich höher als auf dem Vorgänger. „Two-Faced“ kann man somit als das wohl unterbewertetste Album der Band bezeichnen – so fein ‚Nation Over Nation‘ ist, es wird Zeit, daß die anderen Songs des Albums auch live mal wieder berücksichtigt werden!

TankardTankard.jpg „Die Moderne fand mit dem Nachfolger „The Tankard“ aber ein jähes Ende. Die Produktion orientierte sich klar an den Metal-Klassikern der Achtziger, und die Riffs zeigten eine ungewohnt starke Punk- und Motörhead-Schlagseite. Dazu kam ein weiterer Schock: nicht nur, daß Gerre die melodischsten Vocals seiner Karriere abgeliefert hatte, auch zweistimmige Background-Harmonien gab es zu hören! Viele Songs, beispielsweise ‚Minds On The Moon‘, ‚Hope‘ und ‚Poshor Golovar‘, erinnerten gar an eine straightere Version der ‚Angel Rat’/’Outer Limits‘-Ära der Kollegen Voivod! In ‚The Story Of Mr. Cruel‘ wurde mi Ska-Elementen (!) experimentiert, ‚Atomic Twilight‘ präsentierte gar fast balladeske, nachdenkliche Klänge. So weit wie auf ‚The Tankard‚ bewegten sich die Jungs nie mehr vom Thrash Metal weg, wie die erwähnten Mittneunziger-Alben von Voivod verlangt auch „The Tankard“ ein wenig Offenheit – dafür wird der Hörer mit reihenweise großartigen Melodien und originellen Riffs belohnt. Die Bonus-EP, die dem Reissue beiliegt, zeigt denn auch, wo dieser Schwenk hergekommen sein könnte. Unter dem Namen Tankwart hatten die Jungs nämlich kurz vor „The Tankard“ die EP „Aufgetankt“ veröffentlicht, ein Spaßprojekt, bei dem sie ihre liebsten NDW-Klassiker coverten, darunter Hits wie ‚Sternenhimmel‘ oder ‚Skandal im Sperrbezirk‘, aber auch Obskureres wie ‚Pogo in Togo‘ (United Balls) oder die vergessene Ätznummer ‚Herr D‘ von Marius Müller-Westernhagen. Auch Verneigungen vor den Die Ärzte und Die Toten Hosen mit ‚Elke‘ respektive ‚Liebesspieler‘ gab es zu hören. Ein spaßiges, wenn auch kurzes Partyscheibchen, das perfekt zum „The Tankard„-Album passt.

Damit endet denn auch die Noise-Ära von Tankard. Nach drei Jahren Pause tauchte die Band mit dem gnadenlosen Old-School-Thrash-Album „Disco Destroyer“ bei Century Media wieder auf – das ist aber eine Story für einen anderen Tag… eine Story, die nach wie vor weitergeht und deren Ende erfreulicherweise noch nicht in Sicht ist. Erstmal darf man sich mit diesen Reissues die erste Karrierehälfte der Band nochmal ausgiebig zu Gemüte führen! Die LP-Fassungen kommen, wie die erste Staffel, allesamt als Splatter- oder Swirl-Farbvinyls im originalen Coverdesign und mit der ursprünglichen Vinyl-Tracklist – also auch ohne die CD-Bonustracks. Nur daß „Stone Cold Sober“ nun doch nicht, wie angekündigt, im „Bierkotze im Wüstensand“-Design erschienen ist, sondern im konventionelleren Splatter-Blau, das macht den Rezensenten unfassbar traurig.

Benotung:
The Meaning Of Life: 2
Stone Cold Sober: 3+
Two-Faced: 2
The Tankard/Aufgetankt: 2+

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