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Devin Townsend – Große Freiheit in der Nerdhöhle


Das Hamburger Grünspan ist schon eine kultige Location: Mit einem Fassungsvermögen von rund 800 Leuten nicht zu groß, urgemütlich mit der um den Saal laufenden Galerie, verzierten Säulen und der schummrigen Bar. Der sich schnell füllende Club ist passend zur nahen Reeperbahn in diffuses Rotlicht gehüllt. Die sich langsam mit atmosphärischem Rauch füllende Bühne ist vollgestopft mit Instrumenten, Gitarrenracks, Verstärkern und gleich drei Drum-Kits. Bevor der Kanadier heute aufspielt, stehen noch zwei weitere Bands auf dem Programm. Und so dürfen bereits um viertel vor Acht die Norweger von Shining (nicht zu verwechseln mit den Schweden von Shining oder den Briten von The Shining) loslegen. Und das tun sie mit einer über den jetzt fast komplett gefüllten Club hereinbrechenden Welle aus brachialen Stakkato-Riffs und Progressive Black/Death mit Jazz-Einflüssen, oder wie Frontmann Jorgen Munkeby es selbst bezeichnet: „Jazz-Metal“. So dauert es auch nicht lange, bis er die Gitarre gegen ein wuchtiges Saxophon getauscht hat und „Blackjazz“ zum Besten gibt wie auf dem gleichnamigen Album der Norweger.

Shining.jpg.jpg „Das ist schon extreme Musik, die sich mit ihren Jazz-Elementen und durch den dominanten Einsatz des Saxophons aber wohltuend vom reinen Deathcore abhebt. Die schrägsten Passagen erinnern mehrfach an den Soundtrack eines David Lynch Films. Der Sound könnte manchmal etwas präziser sein, so geht das Saxophon doch fast im Lärm der Gitarren und der extrem dominanten Bassattacken unter. Im Laufe des Abends wird der Sound aber noch deutlich besser. Keyboarder Bernt Moen ergänzt den Sound immer wieder durch elektronische Beats und Klangflächen. Beim Publikum kommt diese Mischung jedenfalls gut an, Köpfe werden zum Rhythmus geschüttelt, ein paar Hände nach oben gestreckt. Eine halbe Stunde später verlassen Shining als erste Sieger des Abends die Bühne.

Periphery1.jpg.jpg „Nach kurzer Pause geht es direkt weiter mit dem amerikanischen Sextett Periphery und einer launigen Mischung aus Metalcore, Death und (schon wieder) Jazz. Mit gleich drei Gitarren sind die Prog-Metaller angerückt, um den Hamburger Club in seinen Grundmauern zu erschüttern. Durch die hochgelobten letzten beiden Alben Juggernaut: Alpha und Juggernaut: Omega konnten sich Periphery schon viele Fans machen, was auch sofort deutlich wird: Die Menge ist begeistert und feiert die Band, als sei sie schon der Hauptact des Abends. Auch hier dominieren die brachialen Bassattacken, diesmal ohne Keyboardunterstützung. Im Gegensatz zu den Screams bei Shining sind Frontmann Spencer Sotelos Vocals überwiegend clean, wobei es durchaus auch mal den einen oder anderen Scream gibt.

Periphery2.jpg.jpg „Vor der Bühne wird getanzt, und im hinteren Teil des Clubs fliegen die (leeren) Bierbecher durch die Luft. Beim letzten Song gibt es dann sogar einen ordentlichen Circle Pit. Die Party ist in der Großen Freiheit angekommen. Periphery können mit technisch anspruchsvollem Prog-Metal überzeugen und gewinnen diesen Abend locker noch mal einige Fans dazu, wie die Reaktionen im Publikum auch nach dem Auftritt zeigen. So wird auch lautstark eine Zugabe gefordert, doch dieser Wunsch kann nicht erfüllt werden, wartet doch jetzt der Mann hinter der Bühne, für den eigentlich alle gekommen sind.

Devin Townsend hat bereits eine kanadische Flagge an der Bühnenseite gehisst und ist fast bereit für seinen Auftritt – zunächst gibt es aber auf einer Videoleinwand eine kleine Geschichte mit Ziltoid zu sehen. Das Alien, welches Townsend extra als voll bewegliche Puppe hat konstruieren lassen, ist in dem Einspielfilmchen auf dem Weg zur Erde und versucht, unsere Kultur und Gebräuche zu erlernen. Nebenbei wird noch mal eben ein „Poozer“ entführt, eins der kleinen und ziemlich hässlichen Geschöpfe der Kriegsprinzessin Blataria. Ja, Devin Townsend ist (natürlich) Science-Fiction-Fan und selbsterklärter Nerd. Sogesehen erzählt das Video quasi die Vorgeschichte zum aktuellen Album „Z2“.

Devin_Townsend1.jpg.jpg „Das Video verkürzt die Warte- und Umbauzeit, eine durchaus nette Idee. Um viertel vor zehn entern Townsend und die Band dann aber die Bühne und legen gleich los mit der Wahrheit, die ja irgendwo da draußen sein soll. „Truth“ eröffnet Townsends Auftritt gleich mit den für ihn so typischen harten Gitarrenriffs und peitschenden Drumbeats. Ebenfalls typisch für den Kanadier sind seine vielen Grimassen, von deren Vielfalt sich die ersten Reihen des Publikums zur Genüge überzeugen können.

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Devin_Townsend3.jpg.jpg „Die gesamte Show wird auf der Leinwand hinter dem Schlagzeug durch Filmeinspielungen und psychedelische Licht- und Farbmuster unterstützt. Der Sound ist druckvoll und klar. Townsend spielt heute auf einer individuellen Extraanfertigung mit leuchtendem Ziltoid-Logo und doppeltem „Z“ im Korpus. Der unglaublich spielfreudige und kreative Musiker konzentriert sich bei der Setlist des Abends überwiegend auf die härteren Songs und kredenzt den Hamburgern jede Menge technisch anspruchsvollen Progressive-Metal. „We play different kinds of music, but we’ll focus on the heavy stuff“, erklärt der Kanadier und stößt damit auf viel Zustimmung unter seinen Fans. Und doch bietet ihm das Genre die typische große Freiheit, im Verlauf des Abends auch mal kurz bei diversen Soli auf Psychedelic- oder Jazz-Pfaden zu wandeln. Oder sich mal an Riffs zu versuchen, die eigentlich typisch für einen ganz anderen Künstler sind: „Here’s a shitty dance party!“ leitet er den nächsten Song „Addicted“ ein. „Here’s a Kid Rock Riff!“ In der Tat. Aber Cowboyhut, Whiskey-Flasche oder eine Knarre holt der Kanadier natürlich dennoch nicht hervor.

Devin_Townsend4.jpg „Townsends Zwischenkommentare und Songansagen setzen immer wieder ein wenig Nerd-Grundwissen voraus, wenn er beispielsweise von „Heavy Metal Oompa Loompa Chords“ spricht. Wobei es ja schon fast zur Allgemeinbildung gehört, die Oompa Loompas mit Charlie und der Schokoladenfabrik in Verbindung zu bringen. Ziltoid selbst ist inzwischen auch gesichtet worden. Zwar nicht auf der Bühne, denn die Originalpuppe ist nur auf der Leinwand zu sehen, nicht etwas als richtige Bühnendekoration, sondern im Publikum, wo ein Fan stolz die Handpuppe in die Höhe streckt, die man hinten am Merch-Stand natürlich auch käuflich erwerben kann.

Townsend bedankt sich immer wieder artig bei den Fans und ist sichtlich erfreut, dass so viele gekommen sind. „It’s so easy to forget how lucky we are“, sagt er. „I’m the luckiest guy in the world, because I love to play music and I have the chance to play it for you guys.“ Heute ist ein besonderer Tag, sagt er. Und zwar der beste Tag, um mit den Fans gemeinsam den Song „Lucky Animals“ zu singen. Das geht nämlich am bestem an einem Montag…nein…an einem Mittwoch… „That’s how fuckin’ rock’n’roll I am, I don’t even know what day it is!“ Das Singen mit den Fans klappt jedenfalls sehr gut. Dazu gibt’s im Hintergrund auf der Leinwand lustige Katzenfotos direkt aus dem Internet zu sehen, das ja bekanntlich voll von Katzenbilder ist. Ach ja, es ist übrigens Dienstag.

Devin_Townsend5.jpg„If you’re here tonight, you are a nerd!“ erklärt Townsend, der ja nicht umsonst auch der „verrückte Professor des Metal“ genannt wird. „And we’re together in our nerdyness!“ Die Nerdhöhle wird heute von erstklassigem Prog-Metal beschallt. „Bring out your lighters!“ fordert der Musiker. Hm, die Zeiten ändern sich. Früher hatten offenbar noch mehr Leute Feuerzeuge dabei, erinnert man sich einmal an die 80er und 90er und die Feuerzeug-Lichtermeere bei Balladen im Konzert. Heute sind es nur noch sieben oder acht einsame Feuerzeuge, die zu „Ih-Ah“ geschwenkt werden. Für den Song hat sich die Band komplett zurück gezogen und ihren Frontmann allein auf der Bühne zurück gelassen, der mal eben erklärt, jetzt würde der Zugaben-Teil beginnen, aber er hätte keine Lust, von der Bühne zu gehen um dann wieder zu kommen. Also bleibt er halt gleich da.

Devin_Townsend2.jpg „Nachdem Townsend die zurückgekehrte Band vorgestellt und sich bei den Musikern und seiner Crew bedankt hat („If I’m missing anyone, he’ll be in the credits of the next fucking thing I’ll do!“), geht es auch nahtlos weiter mit dem Finale, das es noch einmal ordentlich krachen lässt: ‚Kingdom‘ steht auf dem Programm. Nach knapp 90 Minuten geballter Prog-Power verabschiedet sich Devin Townsend von den Fans, die glücklich und zufrieden in die Nacht hinaus strömen. Viel besser kann man modernen Prog-Metal nicht unter das Volk bringen. Und Ziltoid? Vermutlich hat er sich auf die Suche nach einem Kaffee gemacht. Oder begonnen, die Erde zu erobern. Oder beides.

Setlist Devin Townsend, Hamburg, Grünspan 17.03.2015:

Truth
Death Ray
Namaste
Night
Storm
Hyperdrive
Rejoice
Addicted
March Of The Poozers
A New Reign
Lucky Animals
Life
Christeen
Ih-Ah
Kingdom

Fotos: Michael Buch

Die komplette Fotostrecke zu allen drei Bands findet Ihr auf unserer Facebookseite

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