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Baden in Blut 2015 – Metalparty mit Volksfeststimmung

1.jpg „Von den Metalmaniacs Markgräflerland veranstaltet, hat es das eintägige Open-Air im Dreiländereck Deutschland-Schweiz-Frankreich zu überregionaler Beliebtheit geschafft. Und das ist nicht verwunderlich, wenn man das Festivalgelände betritt. Der Landschaftspark Grütt liegt etwas außerhalb von Lörrach im Schatten der Burg Rötteln und ist ein ehemaliges Gelände der Landesgartenschau Baden-Würrttemberg. Das Festival findet unweit eines kleinen Teiches und Baches statt, wo die Veranstalter in einem kleinen, üppig-grünen Hain eine Bühne errichtet haben. Außerhalb des eigentlichen, mit Bauzäunen abgegrenzten Bühnenbereichs können sich auch Besucher ohne Ticket auf einer der Bierbänke zum Gespräch auf ein Bier oder ganz gemütlich im Gras niederlassen und die familiäre Atmosphäre inklusive Musik mitgenießen. Dieses Jahr war das Baden in Blut mit 800 Besuchern erstmals ausverkauft und dementsprechend atmet die ganze Umgebung chillige Metalhead-Gemütlichkeit, zumal das Gelände mit einer riesigen angrenzenden Wiese weitläufig ist. Um die Mittagszeit am Veranstaltungs-Samstag sind die Bänke noch leer- nur an den Getränkeständen, an denen jedes 0,4 l Getränk für faire 2,50 € zu haben ist und an Essens- und Merchandise-Ständen stehen kleine Grüppchen schwarzgekleideter Menschen.

2.jpg „So versammeln sich um 12 Uhr beim Auftritt der ersten Band Circus of Fools auch nur schätzungsweise 50 besonders frühe Metal-Jünger und werden Zeugen der Show des ambitionierten Dark-Metal-Sextetts aus Tübingen. Eine undankbare Aufgabe, die die Schwaben aber gekonnt meistern. Das Debütalbum „Raise The Curtain“ erschien mit perfektem Timing am Tag vor dem Festival. Circus of Fools haben ihren Festival-Slot beim eigens veranstalteten Band-Wettbewerb gewonnen und sind entsprechend motiviert den Startschuss des Festivals zu geben. Neben dem klassischen Line-Up einer Metalband haben Circus of Fools zusätzlich den Bratschisten Coen und die Tänzerin Mara an Bord. Die geschminkten Gesichter und schwarz-weißen Kostüme sowie der Bandname sind ein Metapher auf den „Zirkus“ in unserer Gesellschaft und passen sich stimmig in das auch musikalische Gesamtkonzept der Band ein. So tanzt Mara als Verkörperung einer Marionette an den Fäden einer dunklen Figur um Hintergrund der Bühne. Der blonde Sänger und Bandleader Tim ist von Beginn an zusätzlich zu seinen Growls und Screams mit dem Publikum im Kontakt, geht aber verbal nicht auf die durchaus gesellschaftkritischen Aussagen der Band ein. Das muss er auch nicht unbedingt, denn der düstere und harte Sound ihres Dark Metals mit seinen „Zirkus-Klängen“ sprechen für sich. Auch wenn die Tontechniker an ihrem Mischpult noch etwas am richtigen Sound schrauben, kommen die Schwaben bei ihrem recht kurzen Auftritt energiegeladen und vielversprechend rüber.

3.jpg „Energiegeladen sind ab 13 Uhr bei weniger Wind auch die Thrasher von Accuser – auch wenn der Begriff „vielversprechend“ bei den Siegerländern völlig fehl am Platz wäre. Seit beinahe 30 Jahren machen die Jungs den deutschen Metal-Underground unsicher, entsprechend spürbar ist die Erfahrung und Routine, die sich allerdings nicht in Abgeklärtheit, sondern in einem rundum überzeugenden Konzert ausdrückt. Die Jungs beherrschen ihre Instrumente schlafwandlerisch, die Riffs sind messerscharf gewaltig und sehr vielseitig, die Drums knallen – es stimmt einfach alles. Bei aller thrashigen Energie haben Accuser ihren eigenen Stil entwickelt und damit das Genre aus der deutschen Ecke mit Kollegen wie Destruction, Sodom und Konsorten mit ihren Alben „Who Dominates Who“ und „Repent“ zweifellos mitgeprägt. Kein Wunder, daß die Mannen um den junggebliebenen Frontmann Frank Thoms in Kennerkreisen berechtigterweise längst Legendenstatus inne haben – auch wenn der große kommerzielle Erfolg leider ausblieb. Und so lassen sich nach dem noch etwas verhaltenen Enthusiasmus bei der ersten Band vor der grünen Bühne begeisterte Mitmach-Bewegungen und emporgereckte Pommesgabeln ausmachen.

4.jpg „Im Außenbereich haben sich inzwischen mehr Leute eingefunden und überall wird entspannt auf badisch (oder schweizerdeutsch) geplaudert. Wer möchte, kann an einer Metal-CD-Tombola sein Glück versuchen. Die ersten Metalheads nehmen das leckere Gastronomische Angebot wahr und stärken sich. Alles mutet eher an wie eine riesige Grillparty im Grünen – wenn nicht die internationalen Metal-Acts mit ihrer Live-Musik und die vielen langhaarigen, schwarz gekleideten Gestalten wären.

Entrails aus Schweden sind mit ihrem frisch erschienenen, vierten Album „Obliterations“ und astreinem Old-School-Death-Metal am Start. Die Soundtechniker haben inzwischen gewechselt oder die anfänglichen Probleme in den Griff bekommen und daher knallt der Sound astrein, klar und angemessen böse aus den Boxen. Gitarrist Jimmy Lundquist und Basser Jocke Svensson wechseln sich mit dem Gesang teils ab, teils geht das Stimmband-Gewitter parallel in die Mikrofone, was der Präsenz der Band astrein zu Gesicht steht. Natürlich kann Rauschebart Lundquist nicht umhin, das gute und günstige deutsche Bier zu loben. Zwar sind am frühen Nachmittag die Slots zeitlich noch recht begrenzt, aber die schwedischen Herren lassen die Eingeweide des Publikums ordentlich brummen und legen einen wunderbaren Auftritt hin, der die Stimmung weiter anheizt. Was sich wiederum in mehr und mehr Bewegung in der Manege ausdrückt.
5.jpgPostmortem aus der Whiskey-Soda-Stadt Berlin können da mit ihrem schnörkellosen Death-Thrash nicht ganz heranreichen, andererseits ist die allgemeine Stimmung und die Besucherzahlen ankommender Metalheads inzwischen ohnehin gestiegen. Das bedeutet aber keinesfalls, daß die sympathischen Hauptstädter eine lahme Truppe sind. Schließlich ist auch bei Ihnen die Bühnenerfahrung und entsprechende Routine groß und auch die Freude über die Festival-Teilnehmer die zum Vollgas-Jeknüppel des Vierers mitgehen ist echt und ungekünstelt. Mit Original Berliner Schnauze feuert der glatzköpfige Frontmann Putz die Besucher aus dem Südwesten verbal an, während seine Bandkollegen die Instrumente sprechen lassen. Trotz jeder Menge emporgereckter Fäuste ist die Stimmung enorm entspannt, fast gemütlich – egal ob am Mikrofon, in der Zuschauermenge oder am Zapfhahn zwanzig Meter Luftlinie entfernt. Fast wie auf einem Volks- oder Straßenfest mit Metal anstatt Volksmusik.

6.jpg „MitKampfar aus Norwegen steht dann ein echter Leckerbissen auf dem südbadischen Menüplan. Mit ihrem Hammer-Sound und schier unglaublicher Bühnenpräsenz ist das Quartett um Bandgründer und Sänger Dolk von der ersten Minute voll da und zeigt den Anspruch der Pagan-Metaller, hier richtig abzuräumen ohne Zweifel auf. Der von Black-Metal inspirierte Scream-Gesang des blonden Nordmanns ist so deftig wie das Erscheinungsbild mit langen Stachelarmbändern, Leder und dezent aufgetragener Corpse-Paint. Gleichzeitig schafft das Quartett es neben der Härte aber hervorragend, Melodik, Abwechslungsreichtum und Emotionalität zu vermitteln. Halb ernst, halb spaßig beklagt sich der Sänger über die 45 Grad beim Auftritt tags zuvor in Slowenien und spielt mit einem Seitenhieb auf den Festivalnamen auf das Sonnenbad an. Der komplette Auftritt, den der Sänger in Sensenmann-Kutte beendet, ist ein einziges Ausrufezeichen. Auch die Präsenz des Publikums beim Headbangen, Jubeln und Rufen spricht Bände. Kampfar mit ihrem folkig angehauchten Pagan-Metal sind die bisher beste Band des Tages!

7.jpgMelechesh aus Israel betreten mit arabischen Tüchern vermummt die Bühne und haben damit auf jeden Fall schon einmal einen Eyecatcher am Start. ZUSÄTZLICH zu ihrem eigenständigen Sound, den man nicht mit anderen Bands vergleichen kann. Metal aus Israel wird oft mit Orphaned Land assoziiert. Gewisse Ähnlichkeiten, vor allem natürlich die orientalischen Einflüsse bei den Kompositionen, lassen sich nicht verleugnen. Doch wo Orphaned Land Metal als gemeinsame Sprache über die Religionen hinweg sehen, stellen Melechesh mit ihrem „Mesopotamian Black Metal“ nahöstlichen Okkultismus und sumerische Mystik in den Mittelpunkt ihrer Texte. Nicht zu vergessen die Symbolik von Petruskreuzen und Pentagrammen auf den Alben. Nicht umsonst gelten die Mannen um Bandleader Ashmedi als erste Black-Metal-Band Israels, auch wenn ein Großteil der Band inzwischen nicht mehr dort lebt. Beim Baden in Blut Festival taucht ein assyirisches Fabelwesen mit Pferdekopf auf der Bühnendekoration auf. Mit ihrem Album „Enki“ haben sie erst vor wenigen Monaten ein neues Album veröffentlicht, das auch bei Whiskey-Soda punkten konnte. Melechesh schaffen es mit ihrer Musik auch ohne Plattitüden aus der finstersten Ecke zu überzeugen. Der mal schrille, mal growlige Gesang und die teils sehr schnellen, messerscharfen Riffs sind da – aber das ist eben nicht alles. Ruhige Intros, thrashige Einlagen und natürlich unbändige Energie sprechen für sich. Gitarrist Moloch mit seinen rötlichen Matte gibt sich ganz dem brutal-genialen Klanggewitter der eigenen Band hin und ist damit die Blaupause für jede Menge Nachahmer. Vielleicht ließe sich der Nahostkonflikt ja mit Melechesh und Orphaned Land im Doppelpack lösen?

8.jpg „Nach einer nochmaligen Umbaupause steht zum Sonnenuntergang gegen 21 Uhr die Band an, die am ehesten aus dem Rahmen des Metal-Festivals fällt, die aber gleichzeitig von vielen Besuchern sehnsüchtig erwartet wird. Solstafir aus Island, seit kurzem ohne festen Schlagzeuger offiziell nur noch als Trio, haben in den letzten Jahren in der Metal-Szene zahlreiche neue Fans gefunden. Und das, OBWOHL der extrem atmosphärische Mix aus Post-Rock und nordischer Folklore (Gitarrist Sæþór steht unter anderem mit Banjo auf der Bühne) in keinem Fall mehr als Metal durchgeht. Eigentlich erinnern die drei Herren inzwischen eher an Sigur Ros oder Björk, auf der anderen Seite aber hat das Strahlenbüschel (isländisch: Solstafir) auch das eine oder andere Soundgewitter mit psychedelischen Elementen und Doom-Metal-Anleihen auf Lager. Solstafir selbst nennen das „Atmospheric Rock’n’Roll“ und das trifft es an diesem Abend besonders. Denn die Sonne steht tatsächlich hinter der Bühne und schickt goldenes Licht auf das Baden in Blut Festival, wo die Musiker aus Reykjavik im Gegenlicht ihren ganz eigenen Sound zelebrieren. Es wird schon etwas kühler, es riecht nach Gras und die Atmosphäre ist zum schneiden, außer der Musik hört man keinen Mucks und scheinbar jeder genießt mit Gänsehautschauer um Gänsehautschauer Meisterwerke wie ‚Lágnætti‘, ‚Svartir Sandar‘ oder ‚Fjara‘. Zwischen den Liedern ist dafür umso mehr Begeisterung zu spüren. Soll noch einer sagen, Metalheads hätten keinen Zugang zu solcher etwas vom üblichen abweichenden Musik. Der Jubel lässt keinen Zweifel, daß die Nordeuropäer eine einzigartige Band sind, die wie wenige andere direkt zur Seele sprechen. Großartig!

Ein guter Schachzug von den Metalmaniacs Solstafir direkt vor dem Headliner, den stilistisch total anders gelagerten Groove-Thrash-Veteranen Sepultura aus Brasilien spielen zu lassen. So kann das Festival mit einem (weiteren) Höhepunkt aufwarten. Und natürlich lassen die Herren Kisser, Green und Co keinen Stein auf dem anderen. Jeder, der die Band kennt und liebt, weiß um ihre großen Stärken: Leidenschaft, Härte und vor allem der unbändige und in dieser Art auf unnachahmliche Groove. Der ist von Anfang an da – genauso wie die unglaublich charismatisch-sympathische Präsenz der Band. Vor allem der US-Import Derrick Green am Mikrofon transportiert diese Impression mit jeder Faser seiner imposanten Erscheinung – und um diese zu unterstreichen trommelt er zu den besonders indigen-südamerikanischen Beats noch zusätzlich zum Drummer Eloy Casagrande wie ein Berserker auf einer eigens für ihn am Bühnenrand stehende Trommel ein. Die Stimme des Mannes ist für diese Band ohnehin über jeden Zweifel erhaben. Jeder Song wird passioniert aus den Eingeweiden über die kräftige Lunge und die Stimmbänder nach draussen gefeuert – und von Kisser mit messerschaften Riffs und astreinen Thrash-Soli verfeinert. Keine Frage, daß da der Rhythmus besonders in die Extremitäten und den Nacken geht. Besonders in den vorderen Reihen geben nochmal alle Besucher leidenschaftlich Vollgas und lassen ihre Windmühlen kreisen. Die Stimmung ist genauso prickelnd spürbar wie bei Solstafir, nur eben auf andere Weise. Die Südamerikaner bieten ein rund 80-minütiges Set durch ihre gesamte, 30-jährige Bandgeschichte und viele warten sehnsüchtig auf die berühmten Songs vom 1996er-Album Roots. Als dann schließlich zum Ende des Auftritts zunächst mit ‚Ratamahatta‘ und dann mit ‚Roots Bloody Roots‘ der einzigartige Festivaltag die ganzen guten Gefühle des Tages konzentriert in einem akustischen Feuerwerk explodieren, ist das der perfekte Abschluss.

Bericht und Fotos: Daniel Frick

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