Leprous – Bodenständig, Progressiv, Ehrgeizig
Whiskey-Soda (WS): Einar, ihr habt ja gerade eure Europa-Tour gestartet, um euer neues Album vorzustellen. „The Congregation“ ist ja erst vor ein paar Wochen veröffenlicht worden. Wie lief es seither bei Euch?
„Einar Solberg (ES):
Das Feedback war bisher wirklich fantastisch. Solche Rückmeldungen sind natürlich sehr erfreulich. Wir versuchen uns aber trotzdem davon so gut es geht freizumachen. Dabei ist es uns egal, ob es gute oder schlechte Presse ist. Wir wollen uns hauptsächlich auf unsere Musik und deren Verbesserung konzentrieren. Das Problem ist nämlich, dass jeder seine eigene Meinung hat. Wenn du da anfängst, dir das zu sehr zu Herzen zu nehmen, dann wird das ein riesiges Chaos. Und Chaos bringt einem vom Weg ab. Viele Leute präsentieren ihre persönliche Meinung aus Tatsache. Von daher: Immer schön auf’s Wesentliche konzentrieren.
WS: Natürlich, man muss sich selbst treu bleiben. Und Musik etwas zu sagen oder auch zu Schreiben ist ja eine wesentlich subjektivere Sache als über viele andere Dinge. Musik ist Geschmackssache.
ES:
Was anderes kann man als Künstler auch gar nicht tun. Deshalb ist es uns auch sehr wichtig uns stark zurückzuziehen, wenn wir neue Musik schreiben. Es gibt natürlich immer eine Hand voll Menschen, denen du vertraust und mit denen du dich austauschst. So ein Blick von aussen ist manchmal schon gut. Aber es muss jemand sein, dem man vertraut und der auch eine Ahnung hat, wovon er spricht. Ich mache da keinem einen Vorwurf, ich bin ja genauso. Ich gebe auch zu vielen Dingen meinen Senf ab, aber wenn ich ehrlich bin, habe ich oft keine Ahnung. Ganz egal, ob es jetzt um Politik oder was auch sonst geht. Die Meisten haben zu allem eine Meinung aber von wenig eine Ahnung.(
lacht)
WS: Eine Sache, bei der du offensichtlich auch darauf pfeifst, wie eure Fans das finden, ist die Art, wie du bei Leprous singst. Deine Vocals sind einerseits schon sehr intensiv, aber andererseits auch sehr sanft. Vor allem, wenn man sie mit anderen Metal-Bands vergleicht oder sie zu euren harten Riffs ins Verhältnis setzt. Warum singst du denn so, wie du es tust? Ist das einfach deine natürliche Tonlage oder setzt du das gezielt so ein?
„ES:
Naja, manchmal schreie ich ja schon in meinen Liedern. Wobei das dann in der Regel eher eine Art Effekt ist und ich keine Texte im eigentlichen Sinn screame. Das ist schon auch ein Bestandteil von Leprous, aber es wird nie ein Hauptbestandteil sein. Und je weiter ich mich als Sänger entwickle, desto weniger mache ich mir Gedanken darüber, WIE ich singe. Man kann ohnehin nicht gut singen, wenn man unentspannt ist. Das gilt natürlich für viele andere Dinge in gleicher Weise.
WS: Du hast dich auf euren letzten Alben als Sänger wirklich weiterentwickelt, das hört man. Ab und an erinnert mich dein Gesang an einen anderen Bekannten Musiker. Hast du ne Idee, wen ich meine?
ES:
Solche Vergleiche höre ich natürlich immer wieder, da werden dann ganz unterschiedliche Namen aufgezählt. Muse wird immer wieder genannt. Finde ich witzig, denn ich höre sehr viel Radiohead und Muse sind ja stark von denen geprägt. Meintest du auch Muse?
WS: Nein, es ist ein eurer Heimat sehr berühmter Landsmann von dir.
ES:
Meinst du Morten Harket? Den Vergleich habe ich auch schon gehört, ja. Aber er singt eigentlich noch viel klarer als ich. Wenn du jetzt aber beispielsweise ‚The Cloak‘ meinst, dann verstehe ich den Vergleich schon. Erinnerungen schaffen eben Assoziationen, ganz normal. Und er ist natürlich ein hervorragender Sänger und ich mag A-ha sehr. Von daher es ist definitiv ein Kompliment!
WS: Dein Schwager ist Isahn von Emperor und du und noch ein paar Jungs, die heute Leprous sind, waren eine zeitlang seine Live-Band. Er kommt ja aus der Black-Metal-Szene, da habe ich mich gefragt, wie du selbst diesen Einfluss auf die Musik, die ihr heute macht, einschätzt?
„ES:
Alles was man tut, womit man Zeit verbringt, formt einen als Person – das kann man auch gar nicht kontrollieren. Heute würde ich nicht mehr sagen, dass ich stark von Black Metal inspiriert werde. Aber ich schätze nach wie vor dunkle, melancholische Musik sehr stark, mehr als alles andere. Viel Zeug aus der Extreme-Metal-Ecke fällt natürlich in diese Kategorie. Es gibt immer mal wieder kleinere Abschnitt, die das widerspiegeln. Mein Lieblingsalbum im vergangenen Jahr war „The Satanist“ von Behemoth. Obwohl ich heute eigentlich nicht mehr so auf Extreme Metal stehe. Ich finde, die meisten Bands machen doch nichts Neues.
WS: Was im Besonderen gefiel dir denn an diesem Album?
ES:
Da war diese Leidenschaft zu spüren. Als ob sie jede einzelne Note, die sie spielten, genau so meinen würden. Ich brauche das bei Musik. Leidenschaft, Tiefgang. Das liebe ich. Ich hatte vorher Null Beziehung zu der Band bis ich sie live sah und sie ein paar Lieder von diesem Album spielten. Mir geht’s bei Musik nicht um Genres, sondern um Stimmung und Atmosphäre. Manche Electronic- oder Popbands können meiner Meinung nach viel düsterer und intensiver als Exteme Metal Bands sein. Mir geht es um Tiefe, aber manche Leute dümpeln eben lieber an der Oberfläche herum. Wenn ich auf grossen Metal-Festivals bin denke ich immer: Klingt gleich, klingt gleich, klingt gleich… Was mir auch wichtig ist, ist ein eigener Charakter. Da ist mir dann auch egal, ob ich die Musik wirklich mag oder nicht. Die haben das gewisse Etwas, das man schon nach 5 Sekunden hört. Es gibt wirklich viele Bands, die ich nicht besonders mag aber genau dafür absolut respektiere. Zum Beispiel eure deutschen Superstars Rammstein. Ich mag sie nicht, aber für ihren absolut eigenen Sound respektiere ich sie sehr. Man hört nach zwei Sekunden, dass sie es sind. Das finde ich persönlich das allerwichtigste. Sich selbst treu bleiben und sich nicht verbiegen.
WS: Wenn du deine Band so ansiehst, was möchtest du noch erreichen?
ES:
Das einzige, was ich wirklich, wirklich möchte ist, von der Musik leben zu können. Und wir kommen diesem Ziel immer näher. Das ist mein grosser Traum – mich einzig auf die Musik konzentrieren zu können. Momentan haben wir gerade einen wirklich guten Lauf. Bisher musste ich immer noch recht viel neben der Band arbeiten, um Geld zu verdienen. Wir versuchen immer noch, uns zu steigern. Und je grösser die Band wird – und es geht gerade wirklich bergauf – desto mehr Zeit kann ich dafür aufwenden, die Band noch besser zu machen. Ich lebe bereits meinen Lebenstraum – der nächste logische Schritt ist daher, vom Musikmachen leben zu können.
WS: Lustig, weil euer Gitarrist Oystein mir vor zwei Jahren bei einer ähnlichen Frage die gleiche Antwort gegeben hat.
„ES:
Wirklich? Das klingt gar nicht nach ihm! Ihm ist das bei weitem nicht so wichtig wie mir. Er ist eher der Typ, der noch einen Draht zur „normalen Welt“ braucht. ER braucht das. Ich nicht! (lacht). Normale Welt. Lass mich bloss in Ruhe! Ich will mich auf die Musik konzentrieren! Ich hab dazu auch meine klare Meinung. Wenn man hier bei uns im Westen, mit den ganzen wirtschaftlichen Möglichkeiten eine Band hat, dann kann man das auch schaffen. Es gibt nur drei Voraussetzungen: Das entsprechende Talent, sich langfristige Ziele zu setzen und an denen hart zu arbeiten. Man darf einfach nicht aufgeben! Das klingt wie ein Klischee, aber deshalb ist es ja ein Klischee. Weil es wahr ist!
WS: Hat euch der Wechsel zu InsideOut Music dabei geholfen?
ES:
Ja, sehr. Wir erreichen mit ihnen schlicht mehr Leute als mit unserem letzten Label. Das hat also auf jeden Fall geholfen. Und wir haben unsere künstlerische Freiheit. Natürlich diskutieren wir mit ihnen oder sie machen Änderungsvorschläge. „Vielleicht solltet ihr diesen Teil nach dorthin verschieben und jenen Song weglassen“. So in der Art. Wir hören uns das dann auch an, ob da was dran sein könnte. Manchmal hilft es ja auch, die Dinge rationell anzugehen. Man verliert sich ja schon manchmal ein bisschen in seiner Musik. Aber am Ende bestimmen wir, wie es läuft. Wir müssen von der Musik überzeugt sein. Das ist auch Teil unseres Vertrages und darüber bin ich sehr froh.
WS: Ist bestimmt auch ein Spannungsverhältnis, oder? Schliesslich sind die Plattenfirmen ja diejenigen, die sich mit Marketing und diesen Sachen am besten auskennen.
ES:
Das ist wahr. Aber Labels neigen manchmal auch dazu, zu viel über alles nachzudenken. Manchmal machen die Labels die Hörer dümmer als sie sind. Wir hatten da eine Diskussion über die Länge des neuen Albums. Sie wollten, dass es kürzer ist. Aber wir sagten, dass wir nicht einfach zwei Songs weglassen. Ist doch egal, ob ein Album kurz oder lang ist. Es ist wie bei Filmen. Ein vierstündiger Film kann einem kurz vorkommen, wenn man ihn mag. Und einer, der 90 Minuten dauert, kann einem wie eine Ewigkeit vorkommen, wenn er einem nicht gefällt. Das meine ich. Es sind doch nur Zahlen. Am Ende haben sie zugestimmt und jetzt werben sie sogar damit: „Das neue Leprous Album mit 64 Minuten Spieldauer…“ Und ausserdem ist in der Prog-Szene ein langes Album ja absolut nichts Schlechtes!
(Lacht)