Aftershock
Keiner anderen Band ist der Erfolg so sehr zu gönnen wie Lemmy und Motörhead. Die Bandhistorie ist eine Geschichte voller Rück- und Nackenschläge, von denen sich Lemmy nie hat aus der Bahn werfen lassen. Nie ist er eingeknickt, sondern hat Motörhead nach seinem Bild geformt und seit 1995 hat er seine Brüder im Verbrechen in Mikey Dee und Philip Campbell gefunden. Seitdem gibt es alle zweieinhalb Jahre ein neues Motörhead-Album, so auch in diesem Herbst. Es heißt „Aftershock“ – Nachbeben – und lässt sich durchaus auf den Zustand des Mastermind verstanden wissen, erst seine Herzoperation, dann sein Zusammenbruch auf dem W:O:A, dann seine Rehabilitation und nun das Nachbeben nach einem schweren Jahr.
„Aftershock“ beginnt standesgemäß – welch Überraschung – mit einem typischen Motör-Rocker: Boogie trifft auf harten Rock’n’Roll mit einem rauen Refrain und melodiösen Chören, passend zum Titel „Heartbreaker“. Die erste Säule für das 21. Motörhead-Album ist damit geschaffen; es folgen weitere Nummern wie „Coup De Grace“, „Do You Believe“, „Death Machine“, „Crying Shame“ und „Knife“, die dieses Standbein stützen. Ein weiterer verlässlicher Stützpfeiler sind die Up-Tempo-Nummern, auf denen sich der Ruf Motörheads begründet, (einmal) die „schnellste Band der Welt“ gewesen zu sein. „End of Time“ haut in die Kerbe, die Lemmy schon mal mit „Riding with the Driver“ bearbeitet hat, „Queen of the Damed“ hat ein bisschen etwas von der eisernen Faust abbekommen, „End of Time“ hat fast die Energie für einen Platz auf „Bastards“ und „Paralyzed“ hätte gut zwischen „Snake Bite Love“ und „Assassin“ gepasst.
Das würdige Nachbeben auf ein schweres Jahr
Zwei waschechte Rock-Songs liefert das Trio mit dem düsteren „Silence When You Speak To Me“ und dem durch die Nase gezogenen „Keep Your Powder Dry“ ab. Mehr Platz hat man dem Blues eingeräumt und damit meine ich nicht das Dröhnen von Songs wie zum Beispiel „You Better Run“, sondern die ruhige, traurige Version, für die der Blues nunmal steht. In „Lost Woman Blues“ zeigt Phil Campbell, dass er mit den sechs Saiten nicht nur Lärm produzieren kann, sondern diese auch mit viel Gefühl zum Weinen bringen kann. Aber Motörhead wären nicht Motörhead, wenn der Song nicht doch noch das Tanzbein anschieben würde. Ähnlich souverän bläst der Dreier mit „Dust and Glass“ Trübsal und wieder zeigt sich Wizzö von seiner Schokoladenseite. Trotzdem sollte er sich Einzelauftritte im Spotlight verkneifen.
Insgesamt kann man von einem soliden Album sprechen, wären da nicht die handvoll Songs, die wirklich als gelungen zu bezeichnen sind. Jedes Motörhead-Album hat diese Songs, nur „Aftershock“ hat eben zwei mehr von dieser Sorte. Und auch wenn es Motörhead nicht mehr so knallen lassen wie zu „Overkill“- oder „Bastard“-Zeiten, weiß das Nachbeben besser als „Kiss of Death“ oder „Motörizer“ zu gefallen. Zum Schluss bleibt nur zu hoffen, dass das Artwork nicht den wirklichen Stand der Rock’n’Roll Legende widerspiegelt. Das wäre bitter. Aber Unkraut vergeht bekanntlicherweise nicht!