100 KILO HERZ – Zurück nach Hause
Als im Jahr 2020 das zweite Album „Stadt Land Flucht“ von 100 Kilo Herz erschien, passte es mit seiner politischen Agenda voll in die Zeit. Vor allem der Titeltrack „Drei Jahre ausgebrannt“ entwickelte sich für den Rezensenten zur inoffiziellen Hymne gegen all die Coronaleugner, Verschwörungstheoretiker, Querdenker und Rechtspopulisten. Drei Jahre später steht nun mit „Zurück nach Hause“ (Bakraufarfita) der nächste Longplayer von den Leipzigern an. Nicht nur aufgrund der aktuellen politischen Lage, sondern auch wegen eines Besetzungswechsels an der Gitarre – Clemens wurde aufgrund von sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch gegenüber Fans aus der Band geworfen und durch Basti ersetzt – kann mit Spannung auf die Platte geblickt werden.
Eines der Kernelemente von 100 Kilo Herz sind die politischen und gesellschaftskritischen Texte. Diese sind auch diesmal prägend für die insgesamt zwölf neuen Tracks auf „Zurück nach Hause“. Der Song „Keine Zeit für Angst“ mit Nicholas Müller von Jupiter Jones widmet sich dem Erstarken der Rechtspopulisten und dem Schulterschluss von normalen Bürger*innen und Nazis bei Demonstrationen.
Gemeinsam mit Amy Vialon von Kopfecho besingt das Sextett in „Eine Hölle in Pastell“ häusliche Gewalt. Die Punkrocker greifen jedoch ebensoThemen auf, die bisher selten in Songtexten artikuliert worden sind. In „Station 30“ wird der Pflegenotstand in Deutschland angesprochen, während es in „Das richtige Wort“ um Morde an Menschen mit Behinderung in Pflegeheimen geht. All dies thematisieren 100 Kilo Herz auf hohem erzählerischem Niveau ohne große Plattitüden oder Parolen, sondern mit sachlichen Schilderungen, die voller Ernsthaftigkeit und spürbarer Wut vorgetragen werden.
Auf der zweiten Hälfte von „Zurück nach Hause“ widmen sich 100 Kilo Herz eher persönlicheren Themen wer dem Verlust eines guten Freundes – in diesem Falle Haustieres – in „2964 Tage“. Auch menschliche Beziehungen oder das Verlieren des Sich-Selbst werden in „Alleine leuchten“ bzw. „Spiegel“ angesprochen.
In musikalischer Hinsicht bewegt sich die Band auf ihrem bisherigen Terrain: straighter, jedoch melodiöser Punkrock, der immer wieder durch äußerst gelungene Bläsereinsätze garniert wird. Zeit für Ska- oder Reggae-Elemente haben sich nicht. Das ist auch gut so, denn so passt die aggressive Musik perfekt zu den ernsthaften Texten.
Auf ihrer dritten Platte bleiben 100 Kilo Herz ihrer Linie und vor allem ihren gewohnt guten Texten. Vor allem die erste Hälfte weiß mit ihrer spürbaren Frustration voll zu begeistern. Da der zweite Teil nur minimal abfällt ist die Scheibe für jeden Punkrockfan absolute Pflicht!