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Winter

New Model Army sorgen für Stimmungschaos. Draußen sind 30 Grad und sie veröffentlichen ein Album namens ‚Winter‘.

Nun war ihre Musik nie etwas sommerlich-flockiges. Aber gerade ‚Winter‘ sorgt recht wuchtig für eine Atmosphäre, die der Titel verspricht. Damit setzt es sich recht schroff vom Vorgänger ‚Between Dog And Wolf‘ ab, das 2013 Fans wie Kritiker entzückte und Top 30-Chart-Positionen in Großbritannien und Deutschland verzeichnete. Solche kommerziellen Erfolge gab es für die Band zuletzt mit ‚The Love Of The Hopeless Causes‘ anno 1993.

Freilich sind Zahlen wie diese für Justin Sullivan und seine Mitstreiter nur peripher wichtig. Für die Band bedeutet jedes Album den Ausdruck der aktuellen Stimmung – persönlicher Art wie auch den allgemeinen Weltengang betreffend. Die neue Platte sei eine über Menschen an schwierigen Orten – ‚people in difficult places‘, kommentiert Sullivan. Das kann vieles bedeuten, und tatsächlich beschleicht den Hörer beim ersten langen Bassanschlag von ‚Beginning‘ ein eher unbehagliches Gefühl. Es dürfte kaum Jemanden überraschen, dass sich mehrere der insgesamt 13 neuen Songs mit den aktuellen Fluchtbewegungen beschäftigen. Wo sich die Vorgänge seit Sommer letzten Jahres für Viele inzwischen routiniert und verbürokratisiert zu haben scheinen, führt uns ‚Die Trying‘ (welches verdächtig an ‚Higher Wall‘ aus dem Jahre 1987 erinnert) erneut ihre ganze menschliche Dramatik vor Augen:

‚You can make a camp out of anywhrere, polythene sheets and rope until they come to pull it down – you just start again… / Where there’s always someone to take your money, there’s always someone to make a promise…‘

Und wenn es verzweifelt ruft

‚Part the waters for me!‘

, ist ‚difficult place‘ für das große, feindliche Wasser eine zu milde Beschreibung.

Auch ohne die aufwühlende Thematik macht es ‚Winter‘ dem Fan nicht unbedingt einfach. Nach ‚Between Dog And Wolf‘ und ‚Between Wine And Blood‘ mögen Viele auf ein weiteres harmonisches Album gehofft haben. Beide hatten eine spezielle Magie, haben den Hörer an die Hand genommen und ihn fast behaglich eingewickelt. Das neue Werk scheint uns in die mühsame Realität zurückzuwerfen. So, wie unsere Welt aus dem Rahmen gerät, ist ‚Winter‘ gerade nicht kohärent, mit seinen 13 Songs, von denen keiner wie der andere ist. Zudem durchlief es eine sparsam-raue Produktion. Nichtsdestotrotz – oder vielleicht gerade deshalb? – ist es ein charakteristisches New Model Army-Album, das die Fans zufriedenstellt und die Konzerte um einige neue Klassiker bereichert. Es fehlen nicht die Sullivan-typischen Lebensweisheiten (

‚You cannot choose who you love.‘

) und der unverdrossene Blick nach vorn (

‚Let all the sins of the past buried in the frozen ground, let the last of the vengeance fires die.‘

), nicht die Wut (‚Burn The Castle‘) und auch nicht die Erlösung durch dynamische Tanzstücke (‚Eyes Get Used To The Darkness‘, ‚Weak And Strong‘). Musikalisch macht das Album da weiter, wo ‚Today Is A Good Day‘ aufgehört hat. Textlich ist es das präsenteste und akuteste, was New Model Army seit Langem gemacht haben.

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