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MTV Unplugged

Placebo auf akustisch – ein wenig hat man das ja noch im Ohr: Das Ende 2011 erschienene iTunes-Album ‚Live at Angkor Wat‘ dokumentierte den historischen Auftritt der Band vor der Kulisse der Weltkulturerbe-Stätte in Kambodscha. Pünktlich zum 20. Bandjubiläum – und gerade rechtzeitig zum Anbruch der besinnlichsten Wochen des Jahres – stöpselt das Trio nun abermals die Geräte ab und präsentiert nackten Sound nach guter alter MTV-Unplugged-Tradition.

Aufgezeichnet im August 2015 in London, sollte dieses Live-Album wie wenige andere für das Ausschöpfen der Möglichkeiten stehen. Die Band hat die Angelegenheit, so scheint es, als für die Nachwelt aufgezeichneten Workshop angesehen. Sie hat revidiert und ausgelotet, was geht, und dabei auch die eine oder andere klangliche Konvention in der Placebo-Formel überwunden. Es ist nicht selbstverständlich, dass Rockbands von Welt, wie Placebo es sind, den Mut oder auch nur die Lust aufbringen, neue gestalterische Erfahrungen zu sammeln, wenn ohnehin seit Jahren alles wie von selbst zu laufen scheint. Gewagt haben Sie es dennoch. Ohne viel Durchschlagskraft – falls es sich nicht sowieso verbietet, derartiges von einem Unplugged-Album zu erwarten –, aber immerhin mit dem einen oder anderen spannenden Moment.

17 Tracks sind es am Ende geworden. Für Matt Lunn, den Nachfolger des abtrünnigen Steve Forrest hinterm Drumkit, ist es die allererste Aufnahme mit Placebo. Daneben lud man Majke Voss Romme / Broken Twin und Joan As Police Woman ein, um ‚Every You, Every Me‘ und ‚Protect Me‘ als Duette zu inszenieren. Was befremdlich klingen mag, erweist sich vor allem stimmlich als wohldurchdachte Besetzung. Weiter hervorzueben ist der unerwartet aufgeführte Oldie ’36 Degrees‘ sowie das erstmalig gecharterte, eigens für diesen Auftritt umgebrochene ‚Bosco‘ vom letzten Album ‚Loud Like Love‘. Das Pixies-Cover ‚Where Is My Mind?‘ hingegen ist längst Tradition und bedarf kaum mehr einer Erwähnung.

Für die akustischen nterpretationen setzen Placebo in erster Linie auf Entschleunigung und übermäßig viel Bindemittel aus den Reihen eines Streichorchesters. Die anvisierte Romantik aber will sich trotz adventlichster Umstände nicht einstellen. Eher zäh wirken die verschleppten und streicherverklebten Varianten von ‚Slave To The Wage‘ und ‚Without You I’m Nothing‘; nur schwer verdaulich ist das sonst so kantige ‚Meds‘ als Piano-Ballade.

Da man sich gegen das Stutzen der Live-Tracks entschied, führt Brian Molko auch auf CD mit charmanten Ansagen durch den Abend. Das mag Authentizität transportieren, ja, vielleicht ein, zwei Durchgänge lang zur Unterhaltung beitragen, macht auf Dauer aber reichlich mürbe. Dank ‚MTV Unplugged‘ werden immerhin schlagartig ein paar hunderttausend Menschen mehr über die marokkanische Kastenzither (O-Ton Molko:

‚The kanun is out of tune!‘

) Bescheid wissen, die eigens für ‚Post Blue‘ rausgekramt wird. Oder darüber, dass Brians Songwriting-Gitarre 16 Jahre mehr auf dem Buckel hat als er selbst.

À propos Jahre: Molkos Stimme hat sich über selbige hörbar in die Tiefe entwickelt und klingt dadurch fast enervierend quäkig. Nicht, dass das eine neue Tendenz wäre, aber gerade Stücke der ersten Alben, die der Sänger noch in ungereiftem androgynen Jauchzen aufnahm, lässt das schnell schwerfällig wirken. Zu werben, Placebo seien für die akustische Live-Act prädestiniert, ist nach alledem doch ein wenig übertrieben. Eher ist dies hier ein erfrischendes Weihnachtsgeschenk für hartgesottene Fans – und ein enervierendes Live-Konzept für alle anderen. Gelinde gesagt. Denn wer Placebo nie wirklich mochte, wird in diesem Album garantiert den Gipfel der Überflüssigkeit erblicken.

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