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New Model Army – Immer zwischen A und B

Journalisten wird bei der Veröffentlichung eines neuen Werkes ja gern erzählt, dass es alle bisherigen übertrifft. Also ist ‚Winter‘ das besten Album, das New Model Army je aufgenommen haben? Sullivan überlegt. ‚No.‘ Sagt er dann, lacht und belehrt uns, dass man das so nicht beurteilen könne. Sicher, man gehe mit dieser Attitüde an jede neue Platte heran,

‚denn wenn du daran am Anfang nicht glaubst, dann hat es keinen Sinn, überhaupt eine aufzunehmen. Aber wenn es dem Ende entgegengeht, dann denkst du, es wäre das schlechteste Album, was du je aufgenommen hast. Ich persönlich habe immer diese schreckliche Krise. Wenn es dann im Kasten ist, höre ich es mir ein oder zwei Jahre lang nicht mehr an. Erst dann kann ich mir ein Urteil bilden.‘

Dann grübelt er wieder und meint abschließend über ‚Winter‘:

‚Doch, ich denke, es ist ein gutes Album.‘

NewModelArmy_01.jpg “ Vor allem ist es ein Album mit einer besonderen Atmosphäre. Keiner sehr fröhlichen, bemerkt Sullivan und fährt fort:

‚Es hat so einen Vibe. Wenn du die Platte auflegst und du bist nicht in der Stimmung für den ersten Akkord – den mächtigen Bassanschlag -, dann bist du nicht in der Stimmung für das ganze Album. Obwohl es eine Menge musikalischer Ideen vereint, hat es doch eine Konsistenz, so ein Gefühl. Es ist ein bisschen verzweifelt.‘

Unter anderem darin unterscheidet es sich deutlich vom Vorgänger ‚Between Dog And Wolf‘. Nicht nur die Kritiker waren von selbigem begeistert, auch die Verkaufszahlen bestätigten die positiven Rezeptionen. Fan-Reaktionen und Chart-Positionen in den Top 30 (UK und Deutschland) bezeugen die Klassiker-Qualitäten des 2013er Albums, die das Ergebnis einer aufwändigen Produktion waren.

‚Bei Dog and Wolf hatten wir eine Vorstellung davon, was wir wollten‘

, erklärt Sullivan.

‚Wir wollten die mehrschichtigen Drums. Wir wollten etwas aufnehmen, was schön klingt, und sehr teuer. Und so haben wir das Album im Studio aufgebaut und gestaltet, viel über die Musik nachgedacht.‘

NewModelArmy_BetweenDogAndWolf.jpg “ Als er weiterspricht wird klar, was den magischen Sound des Albums ausmachte:

‚Bei New Model Army ist es immer so, dass wir die hohen Töne vom Bass und die tiefen Töne der Gitarre mögen, außerdem die Tom Tom-Rhythmen. Dazu kommt meine recht tiefe Stimme. Alles prallt aufeinander und kämpft miteinander in der mitteltiefen Bassebene der Musik. Bei Dog and Wolf haben wir uns gedacht, dass wir mehrere Drum-Ebenen übereinanderlegen, sodass nicht mehr viel Raum für eine E-Gitarre bleibt. Manchmal haben wir auch den Bass weggelassen. Wir haben die Musik tatsächlich als eine Art Gebäude gedacht.‘

Nun wären New Model Army nicht New Model Army, wenn sie sich fortan auf diesem Erfolgsrezept ausruhen würden. Der beste Beweis dafür ist ‚Winter‘, für das sich die Band im Nachwirken von ‚Between Dog And Wolf‘ gedacht hat:

‚So, das haben wir durch – lass uns jetzt das Gegenteil machen!‘

Sullivan kommt ins Gestikulieren:

‚Lass der Musik ihren Lauf! Wenn sie da unten kämpfen will, mit den ganzen Tom Toms und dem Bass – lass sie! Lass es eine Schlacht sein! Lass uns die Effekte weglassen, das Echo, den Hall! Machen wir alles trocken und frei heraus! Damit sich jeder fühlt, als wäre er in einem Raum mit einer sehr lauten Band.‘

In mittlerweile 36 Jahren Bandgeschichte ist es nicht das erste Mal, dass Sullivan bei einem Album auf einen ursprünglichen, raueren Sound setzt. ‚Eight‘ aus dem Jahre 2000 etwa war im Prinzip eine Ansammlung von Demos, die er mit Drummer Michael Dean eingespielt hat. Später prägte ‚High‘ (2007) und ‚Today Is A Good Day‘ (2009) ein markanter Rock-Sound.

Ein roter Faden ist aber in der gesamten Diskographie erkennbar, meint der Sänger und Songwriter:

‚Alles wird von zwei Dingen zusammengehalten. Das Eine ist der Klang meiner Stimme, den ich schlicht nicht ändern kann. Das Andere ist unsere Besessenheit von der Rhythmussektion. Jede Band ist so gut, wie es ihre Rhythmussektion ist. Wir beginnen beim Songwriting oft mit dem Schlagzeug, bei ‚Between Dog And Wolf‘ ist es offensichtlich. Aber auch beim neuen Album haben wir mit den Drums angefangen.‘

NewModelArmy_03.jpg “ Dieser Schwerpunkt wirkt sich vor allem bei Live-Konzerten aus:

‚Wenn ich vorn auf der Bühne mit der Band stehe, habe ich oft das Gefühl, ich würde einen Lastwagen bergab steuern. Die ganze Kraft wirkt hinter mir, die gewaltige Kraft von Bass und Schlagzeug.‘

Dafür zeichnet neben Michael Dean seit 2012 Ceri Monger am Bass verantwortlich. Im Dokufilm ‚Between Dog And Wolf – The New Model Army Story‘ von Regisseur Matt Reid bemerkt Monger mit einem Lachen, dass er gerade geboren wurde, als New Model Army schon ihr drittes Album veröffentlichten. Einen Generationskonflikt gibt es in der Band aber nicht, betont Justin Sullivan, der dieses Jahr 60 geworden ist:

‚Bei den Vorspielen für Bassisten fanden wir, dass Leute jünger als 40 keinen Groove hatten und Leute älter als 40 nicht interessant waren. Natürlich wollten wir jemanden Interessanten, und das war Ceri. Der letzte Test war, mit den Anwärtern in die Kneipe zu gehen. Ich dachte, das würde mit Ceri schwierig werden, weil er aus so einer anderen Generation stammt. Aber er hat sich sofort, vom ersten Tag an als Teil unserer Gang gefühlt. Er ist auch ein sehr guter Musiker, aber er ist vor allem wie geboren für New Model Army.‘

NewModelArmy_Winter.jpg “ ‚Winter‘ scheint gerade dem Bass besonderen Respekt zu zollen, eröffnet doch sein tiefer Saitenanschlag das Album. Und auch sonst sind die tiefen Töne sehr präsent.

‚Das Album wurde abgemischt von einem Bassisten‘

, erklärt Sullivan,

‚was man auch hören kann, denn der Bass ist unglaublich laut.‘

Für besagten Lee Smith und seine Kollegen des Greenmount Studios in Leeds ist der Sänger voll des Lobes:

‚Wir haben dieses großartige Studio für uns entdeckt. Es ist ein Punkrock-Studio, sie benutzen dort Tonbänder. Wir sind jetzt ganz verrückt nach Bändern. Und dann liegt das ganze alte, schöne Equipment dort herum. Der einzige Unterschied zwischen diesem Ort und normalen Punkrock-Studios ist, dass hier tatsächlich alles funktioniert.‘

Lee Smith bot sich nach den Aufnahmen auch für den Mix an und nach einem Probesong sagte sich die Band:

‚Yepp, das ist genau der Sound, den wir wollen. Sehr dicht, dick, schwer, aggressiv, trocken. Kaum Effekte.‘

Ein Sound eben, der zu den Themen des Albums passt. Sullivan beschreibt ‚Winter‘ als ein Album über Menschen an schwierigen Orten‘. In seinen Texten reflektiert er die Fluchtbewegungen von Millionen, die freilich keine Neuheit des 21. Jahrhunderts sind, sondern seit Sommer 2015 von den Menschen und Medien in Europa einfach endlich wahrgenommen werden. Sullivan erläutert die Idee hinter dem Titelsong ‚Winter‘:

‚Jahrelang haben wir immer davon gesungen, dass die Misere kommen wird. Und nun erreicht sie uns. ‚We’re entering the age of consequence‘ ist eine Zeile, die ich irgendwo gelesen und für den Song geklaut habe. Wir haben also darüber geschrieben, was kommen wird, und nun schreiben wir plötzlich darüber, was das für Auswirkungen haben könnte. Wenn man Angst davor hat, was kommt, schaut man darüber hinaus. Lass es vorbei sein! Im Song ‚Eyes Get Used To The Darkness‘ ist so eine Zeile: ‚And maybe out on the blackest storms, we’ll see the furthest stars.‘ Es ist fast schon eine Art Optimismus.‘

Die Leute in England sind von den ankommenden Menschen genauso verängstigt wie z.B. in Deutschland, bestätigt Sullivan.

Sie haben Angst vor Allem, und dann schlagen sie eben die Hände schützend über den Kopf, das wäre eine ganz menschliche Reaktion, zeigt er Verständnis. Auf ‚Winter‘ kommt er dieser Schwäche unter anderem mit biblischen Geschichten bei – etwa mit ‚Part The Waters‘ in Bezug auf Moses, der das Wasser des Meeres teilte.

‚Ich benutze gern Legenden, denn es ist eine Art von verbindender Kultur. In ‚Beginning‘ benutzen wir die Geschichte von Theseus aus der griechischen Mythologie. Oft beziehen wir uns auf Grimm-Märchen, und die Bibel ist voller guter Geschichten. Jeder kennt sie, also kann man sich gut auf sie beziehen, sie benutzen und verflechten. Indem wir auf Moses zurückgreifen, können wir sehr einfach daran erinnern, dass solche Massenbewegungen von Menschen nichts Neues ist. Es gibt sie seit Beginn der Menschheit und manchmal kommt es in der Geschichte zu Masseneinwanderungen. Das ist ein sehr natürliches Phänomen, und wir sind mittendrin.‘

NewModelArmy_02.jpg “ Andere Phänomene der heutigen Zeit machen Sullivan dann doch etwas zu schaffen. Angesprochen auf die aktuelle Tour, beginnt er ein wenig zu sinnieren:

‚Touren ist heute schwieriger, wegen dieser Dinge…‘

und hebt sein Smart Phone in die Höhe.

‚In den guten alten Tagen war es in etwa so, als ob ein Matrose auf sein Schiff geht. Er verabschiedet sich von seiner Frau und den Kindern, vom Hafen und sticht in See. Dort bleibt er für Wochen und Monate, vielleicht für Jahre und er wusste, es gab keinen Weg zu kommunizieren. Man war also, wo man war, und tat, was man tat. Man hat manchmal an zu Hause gedacht, war aber nicht in das Geschehen dort involviert. Heute sind wir alle an zwei oder drei Orten gleichzeitig. Wir sind ständig in Verbindung mit Zuhause und unserer Familie, können dort aber nichts wirklich tun. Das ist sehr frustrierend.‘

Sullivan selbst liebt das raue Tourleben aber nach wie vor:

‚Wir sind alle zusammen im Tourbus. Das ist OK, aber nach einem Monat möchte man dann mal Ruhe von den Anderen haben. Dann kommen wir wieder zusammen und die Tour geht weiter. Ich bin geschaffen für dieses Leben, ich will nie wirklich in A bleiben oder nach B gelangen. Denn es ist das Stück dazwischen, was interessant ist.‘

Zu erleben in den noch ausstehenden Konzerten der aktuellen Tour:

17. Oktober: Nürnberg, Hirsch
18. Oktober: Wiesbaden, Schlachthof
19. Oktober: München, Backstage
20. Oktober: Hannover, Capitol
22. Oktober: Stuttgart, LKA Longhorn
23. Oktober: Luzern (CH), Schüür
24. Oktober: Winterthur (CH): Salzhaus
25. Oktober: Bern (CH), Dachstock

Fotos: Francesca Sullivan (Logo, Bild 1 und 3), Trust A Fox (Bild 2)

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