You’re Not As _ As You Think
Falls sich hier irgendwer allzu schnell vom letztjährigen Emo-Hammer ‚Pharmacie‘ von Apologies, I Have None erholt haben sollte, bekommt er oder sie jetzt eine erneute Dosis verpasst, deren Wirkung so schnell nicht nachlassen wird. Sorority Noise aus Connecticut legen ihr drittes Album vor und graben dafür ganz tief in ihren geschundenen Seelen.
Dabei kommt das Album mit seinem Titel so aufmunternd und Hoffnung gebend daher. Jedem einzelnen Hörer ist alle Freiheit gelassen, die Worte ‚You’re Not As ___ As You Think‘ nach Belieben und Befinden zu ergänzen und sich danach im besten Fall etwas besser zu fühlen. Die Band selber würde wohl aber Begriffe wie ‚desperate‘ oder ‚depressed‘ kaum ergänzen. Denn es geht immer noch schlimmer, hat man den Eindruck. Die Platte ist voll von Bekenntnissen direkt aus dem Therapiezimmer, die in der maximalen akkusischen Verzweiflung von ‚New Room‘ gipfeln.
Am deutlichsten ergeht sich Sänger und Texter Cameron Boucher im Song ‚First Letter From St. Sean‘ in Schmerz und Depression und entwirft Szenarien, die hoffentlich keinem der Bandmitglieder so tatsächlich widerfahren sind:
‚When your best friend dies and your next friend dies and your best friends friend takes his life…‘
dann, ja dann kann man nur wünschen, dass die Musik ihre maximale therapeutische Wirkung nicht nur für den Songwriter entfaltet.
Die Apathie ist mitunter zum Greifen nah und da nimmt es kaum wunder, dass der Gesang manchmal etwas blank wirkt. Letztlich überzeugt er aber durch seine Mischung aus Direktheit und Gleichgültigkeit, Abgeklärtheit und Verzweiflung sowie seiner dezenten Fuck you-Haltung. Die Melodien sind, so ist es feine Emo-Art, zum Weinen schön, wenn sich die Gitarre gleich zum Albumauftakt und später wieder bei ‚Car‘ in die Höhe schraubt, und packend ist der Noise-Sound von ‚A Better Sun‘.
Leider sind der Opener ‚No Halo‘ und das folgende ‚A Portrait Of‘ die bei Weitem stärksten Songs des Albums. Im Folgenden gibt es nur noch wenig Möglichkeiten, sich den Scheiß so richtig von der Seele zu schreien und im Ganzen ist ‚You’re Not As ___ As You Think‘ eher introvertiert bis hin zu offensiv pop-punkig (‚Disappeared‘). Es könnte gern der aufwühlenden Momente mehr und der einlullenden weniger haben. Die Aufforderung ‚Show me what it’s like to raise your voice‘ (‚Leave The Fan On‘) möchte man bisweilen umgehend zurückgeben.
Trotzdem ist der Hut zu ziehen vor so viel Selbstoffenbarung, getrieben von der Frage:
‚If there’s a God, do I make him proud?‘
(‚Second Letter From St. Julien‘). Das auf jeden Fall, bitte schön. Auch, und gerade wenn es keinen Gott gibt.